Am Beispiel Harald Wohlfarth und der Schwarzwaldstube in der Traube Tonbach merkt man, wie schwierig so ein Generationswechsel in der Spitzengastronomie sein kann. Foto: pp/Leif Piechowski

Wir brauchen die Sterneküche. Nicht nur, weil sie gut fürs Image ist, sondern auch zur Inspiration, findet unser Kommentator Matthias Ring und fordert dennoch mehr Vielfalt.

Stuttgart - Es ist fast schon zur schönen Gewohnheit geworden: Jedes Mal, wenn der „Guide Michelin“ seine neue Deutschlandausgabe vorstellt, gibt es Rekorde zu vermelden. Dieses Jahr nun mit der Auflage 2018 ist eine Schallmauer durchbrochen worden. Genau 300 Restaurants in Deutschland sind mit mindestens einem Stern ausgezeichnet worden. Das ist weltspitze – hinter Frankreich, dem Mutterland der Haute Cuisine. Und eine herausragende Rolle spielt der Südwesten: Baden-Württemberg als Nummer eins mit nun 74 Sternerestaurants, zwei davon mit drei Sternen und sieben mit zwei Sternen.

Alles prima also im Genießerland? Jein. Am Beispiel Schwarzwaldstube in der Traube Tonbach merkt man, wie schwierig so ein Generationswechsel an der Spitze sein kann. Nach 25 Jahren mit drei Sternen ausgezeichnet hatte Harald Wohlfahrt den eher ungeordneten Rückzug aus seinem Lebenswerk angetreten. Die Gourmetszene fordert eben viel von allen Beteiligten, und je mehr man investiert hat, desto schwerer fällt es loszulassen. Nach einem Zerwürfnis zog Wohlfahrt vor Gericht, bis er sich mit dem nun ehemaligen Arbeitgeber doch noch einigte. Dabei wurde viel Porzellan zerbrochen. Trotzdem ist es Wohlfahrts Nachfolger Torsten Michel auf Anhieb gelungen, die drei Sterne für die Schwarzwaldstube allein zu verteidigen – Glückwunsch.

Genussfeindliche Entwicklung?

An diesem Fall merkt man, dass es um mehr geht als nur gutes Essen auf die Teller zu zaubern. Es geht auch um ein gutes Image, das verkauft werden muss, um wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Und um die Zukunft. Trotz 300 Sterne-Restaurants ist die Spitzengastronomie in Deutschland ein Nischenthema für Menschen, die sich 300 Euro oder mehr für einen Abend zu zweit leisten können – und wollen. Wer öfter ausgezeichnet essen geht, kann sich als Gast im Restaurant auch mal ziemlich einsam fühlen, denn längst nicht alle Gourmetlokale sind Tag für Tag ausgebucht. Vielen fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an Verständnis für die Spitzengastronomie, wenn man woanders für weit weniger als die Hälfte doch auch ganz gut essen kann.

Und immer mehr Topadressen machen es den Kunden nicht gerade leicht, wenn sie nur ein einziges Menü „zur Auswahl“ auf die Karte setzen. Das mag aus Gründen der Küchenlogistik und der Nachhaltigkeit, weil weniger bereitgestellte Produkte in die Tonne wandern, nachvollziehbar sein. Aus Gastperspektive allerdings kann man auch von einer genussfeindlichen Entwicklung sprechen, wenn – ob Paar oder Gruppe – alle das Gleiche auf den Tisch bekommen. Was heißt das für den kulinarischen Austausch? „Wie ist deine Vorspeise?“ – „Danke, gut, und deine?“ – „Genau so gut.“

Dem Südwesten geht es immer besser – freuen wir uns

Als Erschwernis hinzu kommen die verkürzten Öffnungszeiten. Ab wann ist ein Restaurant überhaupt noch ein öffentliches Restaurant? Wenn nur vier Abende die Woche aufgesperrt wird und manche davon mit geschlossenen Gesellschaften belegt sind? Eine sichere Bank für den Verdienst, aber um neue Zielgruppen zu erschließen, die vielleicht nur mal für drei Gerichte reinschnuppern wollen, anstatt für eine siebengängige Oper inklusive Weinreise vier Stunden am Tisch festgeschnallt zu sein, wäre mehr Vielfalt und Flexibilität durchaus angebracht.

Dennoch: Freuen wir uns darüber, dass es gerade uns im Südwesten so gut und anscheinend immer besser geht. Und ja, wir brauchen die Sterneküche. Nicht nur, weil sie gut fürs Image ist, sondern auch zur Inspiration. Hochwertige Produkte zu genießen, ist bei einem stetig wachsenden Verbraucherbewusstsein längst nicht mehr nur der Gourmetszene vorbehalten. Es muss ja nicht immer Kaviar sein . . .

matthias.ring@stzn.de