Ein heikles Thema: Sterbebegleitung und Sterbehilfe Foto: dpa

Soll die Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt werden? Nein, sagt die SPD-Politikerin und Juristin Ingrid Matthäus-Maier. Ein Gesetz zur Sterbehilfe sei nicht nötig, sie verweist auf die Patientenverfügung.

Stuttgart - Frau Matthäus-Maier, warum ist heute das Thema Sterbebegleitung so viel stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit als noch vor zehn oder 20 Jahren?
Das Thema ist auf den Tisch gekommen, als Gesundheitsminister Hermann Gröhe vor einem Jahr in einem Interview gesagt hat, die Beihilfe zum Suizid – auch die von Ärzten – müsse strafrechtlich verfolgt werden. Und zwar auch dann, wenn es dem Patienten sehr schlecht geht. Seitdem wird das Thema in der Gesellschaft heftig diskutiert.
 
Und was sagen Sie zu Gröhe?
Ich widerspreche ihm. Es darf kein strafrechtlich bewehrtes Verbot der Suizid-Beihilfe geben. Suizid ist in Deutschland seit 250 Jahren straffrei, und als Juristin sage ich: Wenn die Haupttat keine Straftat ist, kann die Beihilfe auch nicht bestraft werden. Aber auch aus humanistischer Sicht darf eine Suizid-Beihilfe nicht ausgeschlossen werden. Man darf Menschen in größter Not nicht alleinlassen.
Läuft denn die Diskussion in die richtige  Richtung?
Nein. Denn fast alle Vorschläge, die es bisher gibt, gehen davon aus, dass es eine strafrechtliche Neuregelung geben muss. Aber das Strafrecht ist das härteste Mittel, das ein Staat einsetzen kann, wenn er eine Tat für gefährlich mit Blick auf das Gemeinwesen hält. Wenn ich mich für den Freitod entscheide, verletze ich nicht die Rechte anderer. Ich schade niemandem. Im Grundgesetz heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und der Mensch hat das Recht auf Selbstbestimmung. Diese Artikel sind die Grundlage dafür, dass jeder frei über sein Ende entscheiden kann, auch unter Mithilfe eines Arztes. Mir geht es darum, diese Freiheit nicht einzuschränken.
Das heißt, Sie wollen die aktive Sterbehilfe erlauben?
Nein! Die ganze Diskussion leidet unter einer Begriffsverwirrung. Im Strafgesetzbuch gibt es die Tatbestände Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen. Letztes besagt mit Blick auf die Sterbebegleitung, dass nicht der Sterbewillige, sondern der Arzt die sogenannte Tatherrschaft hat, wenn er dem Todkranken z. B. die Spritze gibt. Dies ist strafbar, und daran will ich auch nicht rütteln. Ich will, dass demjenigen, der sich freiverantwortlich zum Freitod entschlossen hat, bei der Ausführung geholfen werden kann. Er behält dabei selbst die Tatherrschaft. Mir geht es darum, dass das geltende Recht bleibt, um den Menschen, die nicht mehr leben wollen, den Freitod auch mit der Hilfe eines Arztes zu ermöglichen.
Und was ist mit denen, die körperlich nicht mehr in der Lage sind, nach dem Schierlingsbecher zu greifen?
Auch da gibt es längst Möglichkeiten. In der Schweiz hat man zum Beispiel einen Apparat entwickelt, der es dem Todkranken erlaubt, den Becher mit einem Strohhalm auszutrinken. Auf jeden Fall muss vorher ein ausführliches Gespräch stattgefunden haben, in dem der Betroffene über die Möglichkeit von Palliativmedizin und andere Hilfen informiert worden ist. Das staatliche Recht ist da aufseiten der Ärzte. Deren Unsicherheit geht auf das Berufsrecht zurück. Das müsste geändert werden.
Unter den Ärzten wird man sicherlich auf verschiedene Meinungen stoßen.
Ja. Und deshalb sage ich: Wenn ein Arzt die Beihilfe zum Freitod nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, wird er sie selbstverständlich auch nicht leisten müssen. Aber diejenigen, die zum Beispiel einen Patienten mit Parkinson im letzten Stadium erlösen wollen, sollen auch helfen dürfen. Dem steht freilich ein Beschluss der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2011 entgegen. Den Beschluss halte ich für verfassungswidrig. Die Ärzteschaft sollte diesen Beschluss revidieren, zumal die einzelnen Landesärztekammern unterschiedliche Regelungen haben. In Westfalen zum Beispiel kann der Arzt nach seinem Gewissen Sterbehilfe leisten, im Rheinland – im Schatten des Kölner Doms – herrscht ein striktes Verbot. Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang klarstellen: Ich respektiere die religiöse Weltanschauung, aber die Kirchenvertreter sollten in einem weltanschaulich-religiösen Staat auch mein säkulares Denken respektieren. Außerdem teilen viele Christen meine Meinung wie etwa der Theologe Küng. Es muss mir überlassen bleiben, wie ich mir mein Lebensende vorstelle. Über 80 Prozent der Bevölkerung sehen das ebenso.
Jetzt hat sich auch der Bundestag mit dem Thema beschäftigt. Es geht um ein neues Gesetz zur Regelung der Sterbehilfe. Brauchen wir das?
Da ist meine Antwort klar: Wir brauchen kein neues Gesetz. Sehen Sie, seit 2009 gibt es die sogenannte Patientenverfügung. Das war ein absoluter Durchbruch im Bundestag. Damit wurde klargestellt: Nur der Patient – und kein anderer – entscheidet, was mit ihm geschehen soll. Dies haben höchstrichterliche Urteile auch bestätigt.
Befürchten Sie einen Dammbruch, wenn noch klarer als bisher der Arzt als Sterbehelfer dienen darf?
Alle Erfahrungen aus Ländern, die ähnliche Regelungen haben, zeigen, dass es dazu nicht kommt. Wenn einem Suizidenten ein Beratungsgespräch mit einem Arzt oder einer Sterbehilfeorganisation offensteht und er weiß, dass ihm im schlimmsten Fall geholfen wird, wird er sogar oft den Suizid unterlassen oder zumindest verschieben. Dies spricht alles gegen den Dammbruch.