Die Kommandozentrale des Stellwerks, in der ersten Reihe sitzen die Fahrdienstleiter. Mehr Bilder vom Stellwerk des Stuttgarter Hauptbahnhofs finden Sie in unserer BildergalerieFoto: Peter-Michael Petsch

Die Tage vom Stellwerk des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind gezählt - Anlage arbeitet seit 1977.

Stuttgart - Hauptbahnhof, Gleis 16. Es nieselt. Wir ziehen das Genick ein. Unser Weg führt vorbei am Südflügel. Die Fenster sind mit Brettern vernagelt. Hinter einer Tür sitzt ein Wachposten. An liebsten hätten wir hier reingeschaut, solange der rechte Seitenarm des Bonatzbaus noch steht. Das sei leider nicht möglich, meint eine Sprecherin der Bahn. Zu gefährlich. Das Innere des Gebäudes sei ausgebeint. Viel zu sehen gebe es nicht.

Notgedrungen geben wir uns mit einem Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zufrieden: dem Stellwerk des Hauptbahnhofs. Auch dessen Schicksal ist mit Stuttgart 21 verknüpft. Aber ein bisschen länger als der Südflügel muss der Klotz mit der braunen Alufassade an der Straße Am Schlossgarten noch stehen bleiben.

Werner Graf, unser Begleiter von der Bahn, drückt eine Klingel und sagt: "Wir sind an der Schienenseite." Ein Brummen. Die Tür ist auf. Als Erstes fällt der Blick auf ein Fahndungsplakat. Die Bahn sucht dringend Elektroingenieure. Wer jemand vermitteln kann, dem winken 1000 Euro Kopfgeld. Gerade in Stuttgart, sagt Graf, wo Daimler, Porsche oder Bosch mit gut dotierten Jobs locken, sei es nicht einfach, Ingenieure zu finden. Dafür sei der Arbeitsplatz bei der Bahn krisensicher.

 Nur noch Personenverkehr

Einen Stock höher betreten wir einen nüchternen Aufenthaltsraum mit Küchenzeile. Die Luft verrät, dass hier nicht nur gekocht wird. Eine Frau am offenen Fenster bläst Rauch in den Regen. Kunststück, denkt man, das Personal kennt sich aus mit Zügen. "Die Kollegen nehmen Rücksicht aufeinander", sagt Manfred Feirer, 47, der Chef des Stellwerks. "Hier wird nur geraucht, wenn es niemanden stört."

Auf der anderen Seite vom Gleisfeld Bankfassaden, die bei dem Wetter noch trister wirken. Als dort in den 80er Jahren noch der Güterbahnhof war, gab es mehr Bewegung auf dem Hauptbahnhof, bis zu 6000 Rangiervorgänge am Tag. Inzwischen wird nur noch Personenverkehr abgewickelt. Täglich 1300 Züge, davon 650 S-Bahnen.

Hinter einer Glastür liegt das Herzstück des Stellwerks. Es wird weder geraucht noch Radio gehört, noch ferngesehen. Nicht mal während einer Fußball-WM. Fünf Männer sitzen an gelb umrandeten Stelltischen, Relikte aus den siebziger Jahren. Die betagten Monitore vor den Fahrdienstleitern sind ein Indiz dafür, dass bei der Deutschen Eisenbahn das Geld nicht zum Fenster rausgeschmissen wird.

Anlage funktioniert seit 1977

Anlage funktioniert seit 1977

Es gehe nicht darum, einen Designpreis für die schickste Inneneinrichtung zu bekommen, sagt Feirer. "Die Anlage muss funktionieren." Das tut sie. Seit 1977. Wenn mal etwas nicht tut, dann tutet es. Oder es klingelt. Und rote Warnlampen leuchten. Das passiert in den anderthalb Stunden im Stellwerk nur einmal. Die Fahrdienstleiter bleiben gelassen, was auch an der Tageszeit liegen mag. Es ist kurz nach 13 Uhr. Stoßbetrieb ist morgens und abends. Meist lässt sich der Fehler per Knopfdruck beheben. So auch in dem Fall. Wenn wirklich mal eine Weiche oder ein Signal klemmt, müssen Züge vom Stellwerk aus umgeleitet werden, und das Bodenpersonal der Bahn rückt aus.

"Es fährt ein Zug nach nirgendwo", sang 1972 Christian Anders. Die Fahrdienstleiter kennen das Fahrziel der Züge genau. Nur in Ausnahmen nehmen sie Funkkontakt zu den Zugführern auf. Sie sitzen mit dem Rücken zum Gleisfeld. Die Aufgabe der Fahrdienstleiter ist es, die Fahrstraßen so freizuschalten, dass die Züge sicher in den Hauptbahnhof hinein- und wieder hinausfinden.

Stelltafel so breit wie ein Fußballtor

Um zu zeigen, wie das geht, stellt sich Manfred Feirer vor eine Stelltafel, auf der die Gleise schematisch dargestellt sind. Die Stelltafel ist so breit wie ein Fußballtor. Rote Lampen signalisieren: Hier steht ein Zug. Weiße Lichter zeigen eine freie Fahrstraße an. Jedem Märklin-Eisenbahner würde bei dem Anblick der mächtigen Schalttafel warm uns Herz.

Wir steigen auf das Dach des Stellwerks, von wo man den besten Blick auf die Gleislandschaft hat. Von hier kann man gut erkennen, wie weit die überirdischen Vorarbeiten für das Milliardenprojekt Stuttgart 21 schon sind. 50 Weichen sind ausgewechselt. Die Bahnsteige wurden 120 Meter in Richtung Bad Cannstatt verlängert - um Platz zu schaffen für die gewaltige Baugrube. Vom Dach aus könnte man auch gut beobachten, wenn in ein paar Tagen das Zeltlager im Park geräumt wird.

Wir wollen kein Öl ins Feuer gießen, aber auch nicht unterschlagen, dass der neue Tiefbahnhof von Karlsruhe aus gesteuert werden soll. Bedenkt man, dass die Zentrale des Landessenders auch im Badischen hockt, muss man sich schon fragen: Wo bleibt die Schwabenoffensive?