Manuel Rongen steht auf dem Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Foto: Max Kovalenko

Steine vom Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs werden aufbereitet und in Tübingen verkauft.

Stuttgart - Der Weg zum Stuttgarter Hauptbahnhof ist staubig und steinig, aber von Prominenz gesäumt. „Hier liegt die alte Messe auf dem Killesberg, daneben ein 800 Jahre altes Stück der Esslinger Stadtmauer“, sagt Manuel Rongen. Es folgt der frühere Karlsruher Bahnhof. „Und hier haben wir die Marienbrücke aus Dresden. Die wollte man tatsächlich zu Schotter verarbeiten“, sagt Rongen kopfschüttelnd. Auch die Reste vom Umbau der Mercedes-Benz-Arena lagern gleich nebenan. „Hier hat jeder Stein seine Geschichte“, sagt der Hausherr, „und da hinten sieht man auch schon den Stuttgarter Hauptbahnhof.“

Nun ist Rongen nicht Geschäftsführer eines Freizeitparks, in dem Miniaturgebäude stehen. Stattdessen handelt er mit Handfestem. Der Natursteinpark Tübingen auf dem Gelände des früheren französischen Munitionsdepots verwertet und verkauft gebrauchte und antike Natursteine. Auf 20 Hektar Fläche türmen sich 40.000 Tonnen unterschiedlichen Materials. Steinmetze und ein Bildhauer haben sich auf dem bewaldeten Areal angesiedelt, die Universität Tübingen hat geholfen, einen Lehrpfad anzulegen. Ein begehbares Steinmuseum wartet auf Kunden und Neugierige.

Laut Rongen ist das Unternehmen das größte und wohl auch einzige in Deutschland, das in dieser Dimension mit gebrauchten Natursteinen handelt. Demzufolge landet fast alles hier, was beim Abtragen größerer Gebäude im weiten Umkreis anfällt. Die Steine kommen jeweils vom Abrissunternehmen, das sie an Rongen verkauft. „Das Geschäft hat sich sehr gewandelt“, sagt er, „heute sind das alles absolute Profis. Das Material wird sauber getrennt.“ Was nicht bei Rongen landet, wird meist auf der Deponie entsorgt oder zu Schotter verarbeitet.

1500 Tonnen Südflügel

Dieses Schicksal hätte auch den Resten der abgerissenen Seitenflügel des Bonatzbaus gedroht, wenn sie nicht zur Weiterverwertung vorgesehen worden wären. „Das ist Crailsheimer Muschelkalk. Ein sehr schöner Stein, grau mit braunen Einschlüssen, aus einem Steinbruch, den es immer noch gibt. Kein Kruscht“, sagt Rongen und biegt rechts ab. Er bleibt vor einem riesigen Steinhaufen stehen. Hier liegen die ungleichmäßigen Steine, rechts daneben lagern die gleichförmigen Quader, sauber gestapelt.

„Derzeit haben wir 1500 Tonnen Südflügel hier, wir rechnen insgesamt mit etwa 3000“, sagt der Geschäftsführer. Manche der Quader tragen aufgemalte blaue Punkte – sie sind schon verkauft. Zwischen 35 und 150 Euro kostet die Tonne, je nach Beschaffenheit. „Manche Leute kommen her und wollen nur einen Stein als Andenken“, sagt Rongen. Doch die meisten Quader werden zu Trockenmauern oder Sitzbänken verarbeitet. „1000 Tonnen Nordflügel stehen schon in schwäbischen Gärten“, sagt Rongen und schmunzelt. Ausverkauft.

Wenn der Herr der Steine von seinem Naturmaterial spricht, gerät er ins Schwärmen. „Das ist alles von Hand gehauen, ein Wahnsinn, was man da geleistet hat. Heute wäre das viel zu teuer.“ An manchen Steinen sieht man noch jede Kerbe. Die vom Hauptbahnhof tragen zum Teil noch Nummern. „Wenn man die alten Pläne hätte, könnte man genau sagen, an welcher Stelle die gewesen sind.“

Keine Häuser aus Natursteinen mehr

Ein Wiederaufbau der Bahnhofsflügel mit diesen Steinen, das hat Rongen auch so manchem Gegner des Projekts Stuttgart 21 erklärt, wäre dennoch nie infrage gekommen, auch wenn der Volksentscheid anders ausgegangen wäre. „Das hätte man mit Beton und entsprechenden Verblendungen gemacht“, sagt der Experte, „das hätte genau wie vorher ausgesehen. Mit Natursteinen baut man heutzutage keine Häuser mehr.“ Mancher Kritiker hatte am Telefon gefordert, dass das Unternehmen keinen einzigen Stein verkaufen dürfe – für den Fall des Wiederaufbaus.

Überhaupt haben sich Rongen und seine Leute besonders nach dem heftig umstrittenen Abriss des Nordflügels intensiv mit Kritikern auseinandergesetzt. „Wir haben anfangs intern schon diskutiert, ob wir dieses Material überhaupt annehmen sollen“, erinnert er sich, „aber dann haben wir gesagt, dass es einfach eine sinnvolle Sache ist, diese wunderbaren Steine wiederzuverwerten.“ Die Alternative hätte schlicht Schotter geheißen. Das sahen schließlich auch die meisten Anrufer ein, die erst von „Kriegsgewinnlern“ oder gar „Leichenfledderei“ gesprochen hatten.

Steine sind sehr beliebt

Bis heute wird das Material vom Abrissunternehmen nicht wie sonst üblich direkt auf der Baustelle von Stahl und Beton getrennt, sondern extra zu einem Lagerplatz gefahren. Es soll so schnell wie möglich von der Baustelle. Danach erst landet es zum Verkauf in Tübingen.

Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, die Steine sind sehr beliebt. „Freitags und samstags herrscht Hochbetrieb“, sagt Rongen und lacht, „mir wäre es lieber, wenn ein paar Leute auch mal montags kommen würden.“ Auf dem staubigen Weg zurück zum Ausgang will er schnell noch ein paar Granitpoller vom Hauptbahnhof zeigen. Doch die sind weg. Offenbar verkauft.

Vielleicht kommen sie in irgendeinem schwäbischen Garten zu Ehren. Als ein kleines Stück vom alten Bonatzbau.