Bitte warten: Auf den Straßen ist immer öfter viel Geduld gefragt Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Was läuft verkehrt mit dem Verkehr? Ob mit dem Auto oder der Bahn – immer öfter kommt man nicht vorwärts in der Region Stuttgart, die in Staus zu ersticken droht. Was steht uns bevor? Unsere Serie beginnt mit einer ernüchternden Bestandsaufnahme.

Stuttgart - Und wieder mal so ein Tag. Ein Tag, an dem eine Autofahrerin auf der Nord-Süd-Straße bei Stuttgart-Möhringen in den Gegenverkehr rutscht und damit den Verkehr auf den Fildern lahm legt. Ein Tag, an dem ein Lkw im B-295-Tunnel in Feuerbach mit Achsbruch liegen bleibt. Ein Tag mit acht Kilometer Stau auf der A 8 zwischen Kirchheim/Teck und Flughafen, elf Kilometern auf der A 81 zwischen Pleidelsheim und Feuerbach. Ein normaler Montagmorgen .

Tausende Pkw mehr – pro Tag

Die jüngsten Zahlen, die automatische Straßenverkehrszählungen für 2015 geliefert haben, sind eindeutig: Es sind immer mehr Fahrzeuge auf den Autobahnen und Bundesstraßen in und um Stuttgart unterwegs. Plus 3,9 Prozent. Was bedeutet das in Blechkarossen umgerechnet?

Auf der A 8 beim Kreuz Stuttgart fahren täglich 3790 Pkw mehr als sonst – insgesamt mehr als 155 000 Autos. Hinzu kommen über 19 000 Lkw. Auf dem Abschnitt bei Denkendorf (Kreis Esslingen) sind es täglich 1800 Autos mehr – insgesamt 107 000. Auf der A 81 bei Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg) gibt es 1610 Autofahrer täglich zusätzlich – nunmehr 117 000. Auf Höhe der Anschlussstelle Zuffenhausen fahren 1000 Autofahrer mehr auf der B 10 – insgesamt 78 000. Auf der B 27 bei Echterdingen beträgt das Plus 879 Autos – täglich 68 470.

Und so läuft Stuttgart über

Kein Wunder, dass der zunehmende Verkehr in Stuttgart überläuft. „Das Stuttgarter Straßennetz ist nicht robust, wenn Störfälle auftreten“, sagt Ralf Thomas, Leiter der Integrierten Verkehrszentrale. Ein Lehrbeispiel dafür gab es im November letzten Jahres: Die Wolframstraße, die Querverbindung von B 14 (Cannstatter Straße) und Heilbronner Straße (B 27), war durch einen Wasserrohrbruch für Tage zur Sperrzone. Die Folge: Mega-Staus in der Stadt. 11 500 Fahrzeuge mussten ausweichen. „Das hat gezeigt, wie wichtig so ein kleiner Zwickel ist“, sagt Thomas. Andere Problemstellen, an denen das Fass schnell überläuft: Die Wilhelmakreuzung in Bad Cannstatt, die Heilbronner Straße bei der Friedrichswahl, die B 14 zwischen Schattenring und Heslacher Tunnel.

Bundesweit ganz weit vorn

Den massiven Verkehr in Stadt und Region bestätigen auch Daten von anderen Verkehrsspezialisten. Inrix zum Beispiel wertet seit Jahren Milliarden Informationen aus Taxis, Dienstwagen, Lieferverkehr und mobilen Navigationsgeräten aus. Das Ergebnis: Stuttgart ist über lange Zeit Deutschlands Stauhauptstadt gewesen. Bei der bisher jüngsten Erhebung im Jahr 2014 lag aber Köln wegen einer Vielzahl von Baustellen erstmals vor Stuttgart. Doch die Staus in Stuttgart wachsen weiter: 64 Stunden lang standen Autofahrer 2014 im Schnitt im Stau, vier Stunden länger als im Jahr davor. Der Durchschnitt aus 22 deutschen Großstädten betrug nur 39 Stunden. Europaweit bringt es Stuttgart auf Platz fünf.

Leute fahren aufs Auto ab

Das gute alte Automobil sollte eigentlich einen schweren Stand haben. Dauerstau, Feinstaubalarm, Carsharing, wegfallende Parkplätze machen das Autofahren unattraktiv. Denkste! Die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge in Stadt und Region steigt seit einigen Jahren massiv. 2009 war in Stuttgart mit 323 000 zugelassenen Pkw, Motorrädern, Lastwagen und anderen motorisierten Untersätzen der jüngste Tiefstand erreicht. Ende 2015 sind die Zahlen auf 353 714 geklettert. Dabei wurden im vergangenen Jahr über 52 000 Fahrzeuge neu zugelassen – ein Rekord. Die Kfz-Innung sieht das positiv, weil alte durch neue, sauberere Modelle ersetzt werden. In der Region sind derzeit über zwei Millionen Fahrzeuge unterwegs – auch das ein Höchststand. Erheblichen Anteil daran haben wohl die florierende Wirtschaft und die niedrigen Zinsen für Geldanlagen auf der Bank.

IHK fordert Straßenausbau

Bei der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) verfolgt man die Staudiskussion mit großem Interesse. „Schließlich ist Verkehr für eine prosperierende Region unerlässlich“, sagt Präsident Georg Fichtner. Nicht nur, weil in und um Stuttgart täglich 900 000 Menschen zur Arbeit pendeln, sondern auch, weil Kunden die Stadtzentren erreichen müssten. „Die große Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs liegt auf der Hand“, sagt Fichtner, sieht dessen Grenzen aber auch im Zuge der Feinstaub-Thematik erreicht: „Die S-Bahn ist besonders in der Hauptverkehrszeit schon sehr gut besetzt.“ Das Nadelöhr der Stammstrecke zwischen den Haltestellen Hauptbahnhof und Schwabstraße lasse kaum noch zusätzliche Züge zu. Deshalb sei ein massenhaftes Umsteigen derzeit trotz aller Appelle „kaum realistisch“.

Für die IHK ist darum der Erhalt und Ausbau des Straßennetzes unerlässlich. Fichtner listet als notwendige Ausbaustrecken etwa den Albaufstieg der A 8, die A 8 zwischen Wendlingen und Kreuz Stuttgart, die A 81 rund um Ludwigsburg, die B 27 auf den Fildern, die B 10 im Filstal einschließlich einer Ortsumfahrung für Geislingen und die B 14 bei Backnang auf. Als Neubaustrecke für „unabdingbar“ hält die IHK die seit langem diskutierte Nordostumfahrung Stuttgarts inklusive einer zusätzlichen Filderauffahrt. Innerhalb der Stadt müssten sich die Verkehrsleittechnik und die Konzepte für den Lieferverkehr verbessern. Bei der Frage nach Fahrverboten fordert Fichtner, auf „Lösungen am grünen Tisch“ zu verzichten. Die IHK sei deshalb bereits auf das Verkehrsministerium zugegangen.