Tote durch die Luft am Stuttgarter Neckartor? Das ist die Aussage einer Demonstration der Organisation Greenpeace. Ein Statistik-Experte hält die Aussagen für unhaltbar. Foto: imago

Er nimmt seit vielen Jahren den Umgang mit Statistiken aufs Korn – und nun auch den mit den Zahlen über Todesfälle durch Autoabgase. Wirtschaftsprofessor Walter Krämer hält sie für unseriös.

Stuttgart - Er nimmt seit vielen Jahren den Umgang mit Statistiken aufs Korn – und nun auch den mit den Zahlen über Todesfälle durch Autoabgase. Wirtschaftsprofessor Walter Krämer hält sie für unseriös.

Herr Krämer, laut einer Studie des Umweltbundesamts sterben jährlich 6000 bis 8000 Menschen vorzeitig an den Wirkungen von Stickstoffdioxid, das vor allem aus Dieselmotoren kommt. Wie lassen sich solche Zahlen statistisch ermitteln?
Gar nicht, jedenfalls nicht auf seriöse Weise. Wenn eine Erkrankung häufiger als zuvor die Todesursache ist, muss das nicht an deren Gefährlichkeit liegen, sondern kann auch darauf zurückzuführen sein, dass andere Ursachen ausgefallen sind. Heute zählt zum Beispiel Krebs zu den häufigsten Todesursachen. Das liegt aber vor allem daran, dass Typhus, Cholera und Tuberkulose als konkurrierende Todesursachen ausgefallen sind – und daran, dass jeder Mensch an irgendetwas stirbt.
Was lässt sich dann aus den Statistiken ablesen?
Ablesen lässt sich vor allem, dass die Stickoxidbelastung der Luft seit Langem zurückgeht und dass die Menschen immer länger leben. Das ist, was den Statistiken wirklich seriös zu entnehmen ist. Es geht uns so gut, dass uns schon eine geringe Belästigung bedrohlich erscheint. Woran wir leiden, ist das Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom.

Bei den Untersuchungen werden Menschen, die in höher belasteten Gebieten leben, mit denen verglichen, die zum Beispiel auf dem Land leben. Lassen sich aus Unterschieden nicht auch Rückschlüsse auf die gesundheitlichen Folgen von Stickoxiden ziehen?
Ich kann vor einer solchen Zuordnung von Umwelteinflüssen und Erkrankungen nur warnen. Die weltweit führende Wissenschaftszeitschrift „Science“ hat schon vor 20 Jahren darauf hingewiesen, dass die Aussagen vieler epidemiologischer Studien durch die Daten nicht belegt werden können.
Wo liegen die Schwachstellen der Untersuchungen zum Stickoxid?
Die größte Schwachstelle ist die Tatsache, dass Stickoxide ja bei Weitem nicht der einzige Umwelteinfluss sind, dem die Menschen ausgesetzt sind. Das Leben in der Stadt und auf dem Land unterscheidet sich nicht nur durch den Stickoxidgehalt der Luft, sondern auch durch viele andere Faktoren. Bei manchen Studien werden die Menschen nicht einmal gefragt, ob sie rauchen, obwohl das alle anderen Umwelteinflüsse überlagert. Für Studien, die Stickoxide für Tausende von Menschenleben verantwortlich machen, gibt es daher nur eine Bezeichnung: Sie sind reine Panikmache.
Wissenschaftliche Studien haben für die Menschen aber ganz konkrete Auswirkungen. Auf sie beruft sich die EU bei der Festlegung der Grenzwerte, auf deren Einhaltung die Deutsche Umwelthilfe jetzt erfolgreich geklagt hat.
Ebenso wie den Studien fehlt es auch den Grenzwerten an einer wissenschaftlichen Begründung. Wie beliebig diese Grenzwerte sind, zeigt sich schon daran, dass im Freien 40 Mikrogramm Stickoxid erlaubt sind, an vielen Arbeitsplätzen dagegen 950 Mikrogramm, obwohl die Menschen sich dort acht Stunden am Tag aufhalten.
Wie erklären Sie sich den Unterschied?
Die Grenzwerte im Freien sind auf Druck von Interessengruppen zustande gekommen, die den Autoverkehr aus den Städten verbannen wollen. Sie sind politisch gesetzt und werden wissenschaftlich bemäntelt.
Aber immerhin haben sie dazu geführt, dass die Fahrzeuge sauberer geworden sind.
Noch schneller sind allerdings die Grenzwerte nach unten gegangen. Bevor der Diesel sie erreicht, werden einfach die Grenzwerte gesenkt – so lange, bis sie wieder überschritten werden. Nur so kann der völlig falsche Eindruck entstehen, die Luft werde immer dreckiger, obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Das Bundesverwaltungsgericht verlangt nun von den Ländern, schnellstmöglich für eine Einhaltung dieser Grenzwerte zu sorgen.
Auch die Richter machen sich leider keine Gedanken darüber, dass die Zahlen, an denen sie sich orientieren, willkürlich zustande gekommen sind. Mit der Gesundheit, um die es angeblich geht, haben sie jedenfalls so gut wie nichts zu tun.