Fünf neue Hafthäuser stehen bereits – sie sollen 560 Plätze bieten Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Tage des durch die RAF-Insassen berühmten Hochhauses im Gefängnis Stammheim schienen gezählt. Doch es gibt im Land derart viele Gefangene, dass jetzt neue Pläne aufkommen.

Stuttgart - Ein trüber Tag in Stuttgart-Stammheim. Mit den tief hängenden Wolken wirken die Mauern der Justizvollzugsanstalt (JVA) noch ein Stück grauer und trister. Dabei herrscht dahinter Hochbetrieb. Nicht nur, weil das vielleicht berühmteste Gefängnis Deutschlands seit Jahren eine große Baustelle ist und die Handwerker nach wie vor als Dauergäste auf dem Gelände werkeln. Nein, auch noch aus einem ganz anderen Grund: Es sitzen viel mehr Gefangene ein als eigentlich Plätze vorhanden sind.

Auf 514 Menschen ist Stammheim, wie das Gefängnis im Volksmund schlicht genannt wird, derzeit ausgelegt. Ende Februar waren dort aber 746 Männer untergebracht, zumeist in Untersuchungshaft. „Das entspricht einer Belegungsquote von 145 Prozent. Die Justizvollzugsanstalt Stuttgart ist besonders stark belastet“, sagt Robin Schray, Sprecher des Justizministeriums.

Das liegt daran, dass die Gefangenenzahlen im Land insgesamt seit zwei Jahren stark ansteigen. Davor hatte man im Vollzug lange Zeit nur Rückgänge gekannt. In den 17 Gefängnissen im Südwesten waren laut Justizminister Guido Wolf (CDU) im Februar 7424 Menschen inhaftiert, das waren 615 Gefangene mehr als noch im Februar 2015 – und mehr als Plätze vorhanden sind. In den vergangenen Monaten habe sich die Situation „nochmals drastisch verschärft“, sagt Wolf. Allein von Ende Dezember bis Ende Februar sei die Gefangenanzahl im Land „sprunghaft“ um rund 500 Häftlinge gestiegen. „Das entspricht der Zahl der Haftplätze in einer größeren Anstalt.“ Zudem ist die durchschnittliche Haftdauer angestiegen.

Der Ausländeranteil hat sich deutlich erhöht

Besonders auffällig ist die Zunahme bei Untersuchungsgefangenen. Er hängt auch mit der großen Flüchtlingswelle zusammen: Mit den vielen Asylsuchenden sind auch Straftäter ins Land gekommen. Besonders Nordafrikaner füllen zunehmend die Zellen und bereiten den Behörden Sorgen. Der Ausländeranteil an den Gefangenen hat sich allein binnen zwei Jahren um 7,2 Prozentpunkte auf zuletzt 46,3 Prozent erhöht. Anfang 2010 lag er noch bei 31,5 Prozent.

Wohin also mit all den Untersuchungsgefangenen und Verurteilten? Derzeit heißt es schlicht: Zusammenrücken in den Zellen. „Durch die Überbelegungssituation sind die Anstalten in vielen Fällen gezwungen, die Gefangenen gemeinschaftlich und zum Teil in Hafträumen, die über keine abgetrennte Toilette verfügen, unterzubringen“, sagt Schray. Das könne man von Gesetzes wegen aber nur in Fällen tun, in denen die Betroffenen schriftlich zustimmen. Eine Optimallösung ist das trotzdem nicht – weder für die Gefangenen noch für das Personal, das es in der Folge häufiger mit Konflikten unter den Insassen zu tun bekommt. Immerhin gibt es in diesem Jahr 67 neue Stellen für den Vollzug. Darin sind aber auch Ärzte oder Ergotherapeuten enthalten.

Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Bis das neue Gefängnis in Rottweil zur Verfügung steht, dürften noch Jahre vergehen. Bei der Landesregierung hofft man, dort den Spatenstich noch im Laufe dieser Legislaturperiode vornehmen zu können – vielleicht im nächsten, vielleicht auch erst im übernächsten Jahr, eventuell noch später. Vor diesem Hintergrund rücken plötzlich bisherige Planungen in den Hintergrund und machen Platz für neue Überlegungen.

Bundesweite Berühmtheit durch RAF-Insassen

Für Stammheim bedeutet das: Im Stuttgarter Norden könnte das mit Abstand größte Gefängnis in Baden-Württemberg entstehen. Derzeit werden dort fünf neue Hafthäuser gebaut. Im Gegenzug hätte danach der berühmte Bau I, das Hochhaus, geschlossen werden sollen. Es ist bundesweit bekannt, weil dort in den 70er Jahren mehrere führende Mitglieder der terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) einsaßen. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich dort 1977 das Leben. Bereits ein Jahr zuvor hatte das Ulrike Meinhof, ebenfalls in ihrer Stammheimer Zelle, getan. Das Hochhaus galt damals als modernstes Gefängnis Deutschlands.

Inzwischen ist das nicht mehr so. Der Bau erfüllt die Anforderungen an moderne Standards und Unterbringung längst nicht mehr. Obwohl er seit einigen Jahren unter Denkmalschutz steht, waren seine Tage deshalb gezählt, denn ein Erhalt müsste wirtschaftlich zumutbar sein. Das scheint bei einem Gefängnisbau eher nicht denkbar. Als wahrscheinlichste Lösung galt bisher ein Abriss, um dort in einem Neubau das ebenfalls marode Justizvollzugskrankenhaus vom Hohenasperg (Kreis Ludwigsburg) anzusiedeln. Doch angesichts der Überfüllung hinter Gittern spricht jetzt vieles dafür, dass das berühmte Hochhaus stehen bleibt.

„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir nach Lösungen suchen müssen, an die bisher noch keiner gedacht hat. Ich kann mir angesichts der aktuellen Belegungssituation nicht vorstellen, dass wir den Bau I der JVA Stammheim wie geplant schließen können“, sagt Wolf. Obwohl er wisse, dass eine Umsetzung dieser Pläne nicht einfach werde, bleibe wohl nichts anderes übrig, „als zu versuchen, den Altbau so lange wie möglich weiter zu betreiben und damit möglichst viele Haftplätze zu erhalten“.

Bis zu 1185 Haftplätze möglich – mehr als doppelt so viel wie derzeit

Für Stammheim bedeutet das: Das Gefängnis käme nicht wie bisher geplant nach Abschluss der Umbauarbeiten auf 772 Haftplätze, sondern auf 1185. Bisher ist die JVA Freiburg inklusive Außenstellen mit 744 Plätzen das größte Gefängnis im Land. Die JVA Stammheim, wo zu früheren Zeiten teils auch schon an die 1000 Gefangene untergebracht waren, würde damit in eine für heutige Zeiten landesweit völlig neue Größenordnung vorstoßen.

Abhängig sind die neuen Pläne aber auch vom Finanzministerium. Dessen Hochbauamt ist nämlich für die Bauarbeiten und deren Finanzierung zuständig. Allein die fünf neuen Hafthäuser kosten 52 Millionen Euro. Sie hätten ursprünglich bereits Ende 2015 in Betrieb gehen sollen. Das hat sich massiv verzögert. „Die bauliche Fertigstellung ist nach heutigem Stand für Mitte August 2017 vorgesehen. Im Anschluss daran erfolgen die Einweisungen, Abnahmen und Inbetriebnahmen. Die Übergabe an den Nutzer ist Anfang Dezember 2017 geplant“, sagt eine Sprecherin des Finanzministeriums. Die Fertigstellung habe sich unter anderem wegen eines Wasserschadens im Jahr 2015 und aufgrund zweier Insolvenzen beauftragter Firmen im Jahr 2016 verschoben.

Bauvorhaben verzögern sich

Die Zellenhäuser sind aber nicht das einzige aktuelle Bauprojekt auf dem Gelände. Auch ein neues Prozessgebäude für das Stuttgarter Oberlandesgericht wird errichtet. Es soll das alte provisorische Gebäude ersetzen, das ursprünglich für die RAF-Prozesse errichtet worden war und seither immer wieder als Ort für besonders heikle Verhandlungen mit hohen Sicherheitsvorkehrungen genutzt worden ist. Derzeit werden unter anderem die technischen Einrichtungen und die Trockenbauarbeiten ausgeführt, heißt es im Ministerium. Die Übergabe des Gerichtsgebäudes sei für das Frühjahr 2018 vorgesehen, der Bau liege im Kostenrahmen. Bereits 2006 war eine neue Torwache errichtet worden.

Ein Abbruch des Hochhauses dagegen werde derzeit noch geprüft, heißt es im Finanzministerium. Für den möglichen Neubau des Justizvollzugskrankenhauses auf dem Areal sei eine Machbarkeitsstudie beauftragt worden. Was mit den Plänen für das Gefängniskrankenhaus passiert, wenn das Hochhaus in Stammheim stehen bleibt, ist noch offen. Laut Justizministerium soll geprüft werden, ob dafür anderswo auf dem Gelände im Stuttgarter Norden noch Platz wäre. Sicher ist jedenfalls: Hinter den grauen Mauern wird weiter Hochbetrieb herrschen – in jeder Hinsicht.