Uta-Micaela Dürig (links) und Joachim Rogall, die beiden Geschäftsführer, haben der Robert Bosch Stiftung eine strategische Kurskorrektur verschrieben. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wo soll eine Stiftung, die Gutes tun will, heute ansetzen? Die weltweit aktive Robert Bosch Stiftung will stärker als bisher auf brennende Themen wie die Flüchtlingskrise reagieren – aber auch ihre Aktivitäten in Stuttgart mit viel Geld ausbauen.

Stuttgart - Als der Historiker Joachim Rogall vor zwanzig Jahren zur Robert Bosch Stiftung in Stuttgart kam, war diese jenseits Deutschlands nur in drei Ländern aktiv – in Frankreich, Polen und den USA. Inzwischen ist Rogall zum Geschäftsführer der Stiftung aufgestiegen, die heute Projekte rund um den Globus fördert. Vor zwanzig Jahren hatte die Bosch-Stiftung nur 30 Mitarbeiter, heute sind es mehr als 180. Sie bearbeiten etwa 800 Eigen- und Fremdprojekte pro Jahr.

Aufgrund der dramatischen Veränderungen in der Welt und des starken Wachstums ihrer eigenen Organisation haben Joachim Rogall und Uta-Micaela Dürig, die im Juli 2015 den zweiten Geschäftsführer-Posten übernommen hat, ihrer Stiftung eine strategische Kurskorrektur verschrieben und die Arbeitsweise modernisiert. Die Bosch-Stiftung, eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland, soll neben ihrer klassischen Arbeit zur Förderung der Völkerverständigung, Gesundheit oder Bildung schneller und flexibler auf aktuell brennende Themen reagieren.

„Wir wollen unsere Arbeit auf drei Schwerpunkte ausrichten“, sagt Joachim Rogall. „Wie sichern wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und Europa? Wie organisieren wir Migration, Integration und Teilhabe richtig? Wie schaffen wir – lokal wie global – Lebensräume, die für die Menschen wirklich zukunftsfähig sind?“

Deutlich mehr als eine Milliarde Euro hat die Bosch-Stiftung seit ihrer Gründung vor 52 Jahren bereits investiert. Trotz dieser stattlichen Summe gehört sie im internationalen Maßstab eher zu den kleinen Stiftungen. Noch stärker als bisher will sie deshalb auf die Kooperation mit anderen Akteuren setzen und Netzwerke von Engagierten fördern. „Das Geld ist wichtig, aber nicht immer gefragt oder das Entscheidende“, sagt Uta-Micaela Dürig. Die Stiftung agiere deshalb selten alleine, sondern fast immer mit Partnern vor Ort. „Unsere Kontakte sind häufig mehr wert, als unsere Fördersummen. Wir verstehen uns als ‚Ermöglicher’, der anderen hilft, die Welt aus eigener Kraft besser zu machen, und als Impulsgeber für soziale Innovationen.“

Zunehmende Sprachlosigkeit in Politik und Gesellschaft

Beispielhaft ist das an der Arbeit in Afrika zu beobachten. Diesen Kontinent will die Stiftung deutlicher als bisher in den Blick nehmen. „Allein 28 Millionen Mädchen im Gebiet der Subsahara haben keinen Zugang zu einer Schulbildung“, sagt Dürig. „Aber Bildung und Wissenschaft sind die Schlüssel zu einer guten Zukunft.“ Die Bosch-Stiftung, die unter anderem den „Deutschen Schulpreis“ vergibt, hat einen reichen Erfahrungsschatz, wie gute Schulbildung und Wissenschaftsförderung aussehen sollten. Dieses Wissen will sie mit den Akteuren in Afrika teilen und diejenigen zusammenbringen, die vor Ort daran arbeiten. Im März 2016 hat sie in Dakar die erste interdisziplinäre afrikanische Wissenschaftskonferenz organisiert. Gemeinsam mit anderen Stiftern und Partnern hat die Bosch-Stiftung eine neue Einrichtung auf den Weg gebracht, die Projekte für eine bessere Schulbildung unterstützen. „Wir schauen sehr darauf, wen wir alles mit im Boot haben müssen, damit unsere Arbeit nachhaltig wirkt“, erklärt Rogall.

Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in Afrika wird auch darüber entscheiden, wie viele Migranten nach Europa drängen. 2015 hatte die Bosch-Stiftung eine unabhängige Expertenkommission zur Neuausrichtung der deutschen Flüchtlingspolitik einberufen. 99 konkrete Handlungsempfehlungen legte die Kommission vor, zentrale Punkte gingen in das im August in Kraft getretene Integrationsgesetz des Bundes ein. „Nachhaltiger und direkter kann Stiftungsarbeit nicht sein“, betont Dürig. Doch nun wolle die Stiftung selbst verstärkt Projekte fördern, die das Zusammenleben und wechselseitige Verständnis von Migranten und Einheimischen verbessern.

„Uns macht die zunehmende Sprachlosigkeit zwischen einzelnen Gruppen in unserer Gesellschaft und darüber hinaus große Sorgen“, sagt Dürig. Sie diagnostiziert Verständigungsprobleme an vielen Orten und bei vielen Themen: im innerdeutschen Streit über die Zuwanderung oder über politische Themen in Nachbarländern, auf der großen politischen Bühne, aber auch bei der Frage, was die Menschen in der Europäischen Union zusammenhält. „Stiftungen und Politik erreichen viele Menschen nicht mehr mit der Art, wie wir über Europa und andere Themen reden“, betont die Geschäftsführerin. Deshalb probiere die Robert Bosch Stiftung nun vielfältige, neue Wege aus, Menschen ins Gespräch miteinander zu bringen, die sonst nicht miteinander reden würden. „Es braucht neue Kommunikationsformate, um die Sprachlosigkeit zu überwinden, Dialog zu befördern und so Eskalation vorzubeugen.“

„Leuchtturm der Krebsforschung“ in Stuttgart

Trotz ihres inzwischen globalen Auftritts will die Stiftung ihre lokale Verankerung in Stuttgart nicht lockern. Das gilt vor allem für das stiftungseigene Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK). „Wir investieren bis 2020 mehr als 150 Millionen Euro“, sagt Geschäftsführer Rogall. Das RBK solle zu einem „Leuchtturm der Krebsforschung ausgebaut werden“. Dieses Krankenhaus sei von großer Bedeutung für die Stiftung – auch jenseits der medizinischen Forschung. Hier könnten beispielsweise die Ausbildung von Flüchtlingen zu Pflegern oder neue Konzepte in der Pflege erprobt werden. „Wir postulieren nicht nur, wie es besser gehen könnte“, sagt Rogall. „Wir zeigen hier auch ganz praktisch, was gut geht – und was nicht.“

Das RBK mit seinen mehr als 1000 Krankenbetten und rund 2700 Mitarbeitern arbeitet profitabel und benötigt daher keine Mittel für den laufenden Betrieb. Sie erhält von der Stiftung jährlich 15 bis 20 Millionen Euro für Forschung und Investitionen. Die zusätzlichen 150 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 sollen für Neubauten und den Aufbau des neuen Krebsforschungszentrums (RBCT) ausgegeben werden.

Im Sommer dieses Jahres hatten die Stiftung, das Krankenhaus und das Unternehmen Bosch ein „Bündnis gegen Krebs“ geschlossen. Zentrale Bausteine sind das neu gegründete Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) in Stuttgart sowie eine enge Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Bosch-Mitarbeiter, die an einem Tumor erkrankt sind, erhalten auf Firmenkosten Zugang zur neuesten Krebsdiagnostik im RBK.