Wer am Hasenberg Trauben liest, braucht Standfestigkeit Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Weingut der Landeshauptstadt Stuttgart hat wenig Personal. Bei der Weinlese ist es auf ehrenamtliche Helfer angewiesen. Das bringt aber auch denen großen Ertrag. Sie fühlen sich gut bei der Arbeit im Weinberg.

Stuttgart - Eberhard Müller hält kurz inne und blinzelt in die Sonne. Er steht am Stuttgarter Hasenberg und genießt für einen Moment die Aussicht auf den Fernsehturm. Dann widmet er sich wieder dem Schnitt der Weintrauben. Rot, prall und gesund sind sie und zählen zur Sorte Syrah. Seit zwölf Jahren unterstützt der Stuttgarter das städtische Weingut beim Rebschnitt, den Bindearbeiten und der Lese. Die Ehrenamtlichen sind eine Stütze des Betriebs.

„Als ich noch gearbeitet habe, war es ein toller Ausgleich zum Bürojob. Heute würde ich sagen, Weinlese hält fit“, sagt Müller, dem man seine 79 Jahre nicht ansieht. Knieprobleme kennt er nicht, er bringt ein gutes Körpergefühl und jede Menge Standfestigkeit mit. Es ist steil hier oben. Sehr steil. „Ich komme mir dabei vor wie ein richtiger Hobbywinzer“, erzählt Eberhard Müller. Die Pflege der Rebstöcke in den Mauerterrassen ist reine Handarbeit, bei der sich Bernhard Nanz, der Leiter des Weinguts, nicht nur auf seine Mitarbeiter verlassen kann, sondern auch auf jede Menge Ehrenamtliche. Insgesamt hätten sich 80 freiwillige Erntehelfer angemeldet, berichtet Nanz. 16 sind heute am Hasenberg dabei, acht sind auf der Karlshöhe im Einsatz, wo der Lemberger geerntet wird.

Bei der Arbeit ist man in der frischen Luft

Gerdi Bauer hilft bereits zum vierten Mal. „Es macht Spaß, man ist an der frischen Luft und man trifft nette Leute“, sagt die Rentnerin. Für sie und all die anderen ist es ein Ehrenamt mit Wohlfühlgarantie. Fachmännisch trennt sie mit einer kleinen Schere die Weinrebe vom Stock und wirft sie in einen braunen Eimer. Wenn das Gefäß voll ist, wird es in die 300-Liter-Wanne auf der Monorackbahn, einer Einschienen-Zahnradbahn, gekippt, die von Florian Feucht bedient wird. Der 22-Jährige ist wie seine Kollegin Sophie Liebe im zweiten Ausbildungsjahr zum Winzer und einer von fünf hauptamtlichen Helfern bei der Traubenlese.

An einem anderen Tag pflücken 30 Promi-Helfer an der Mönchhalde im Norden in etwa drei Stunden 6000 Kilo Trauben. Fast 6000 Flaschen Lemberger zu je 0,75 Liter dürfte das bringen. Auch die Helfer – Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne), die Landtagsabgeordneten Brigitte Lösch (Grüne) und Reinhard Löffler (CDU), amtierende und frühere Stadträte, ehemalige und jetzige Chefs von städtischen Betrieben sowie Amtsleiter – genießen das in vollen Zügen.

Weingutleiter schwärmt regelrecht

Auch der Chef des städtischen Weinguts ist im Glück. „Es ist die schönste Lese meiner Laufbahn, seit 1968. Im Jahr 2014 war dafür die schlechteste“, sagt Bernhard Nanz. Der heiße Sommer hat für die Winzer nämlich ein schönes Nachspiel. Die positiven Nachrichten sprudeln nur so aus Nanz heraus, der noch nie so früh mit der Ernte beginnen konnte. An diesem Mittwoch soll sie schon beendet sein. „Insgesamt rechne ich mit 100 000 Liter Wein, einige Spitzentröpfchen werden dabei sein“, sagt Nanz. Das gilt auch für die Syrahtraube, von der rund zwei Tonnen geerntet werden konnten, mit einem Oechslegrad von 95, was den Zuckergehalt der Frucht angibt. Im vergangenen Jahr waren es nur 1200 Kilogramm.

Bernhard Nanz schaut auf die Uhr. Es ist Vesperzeit. Auf dem Gelände des Wasserwerks an der Hasenbergsteige stehen zwei rote Bauwagen, die zum gemütlichen Essplatz umgestaltet worden sind. Doch an diesem sonnigen Morgen zieht es die meisten ins Freie. Die Stimmung ist locker, man diskutiert über den VfB und die Landtagswahl.

Witwer lenkt sich mit der Lese ab

Eine eher traurige Begebenheit hat Herbert Rupp aus Freudenstadt hergeführt. Vor zwei Jahren war seine Frau bei einer Krebstherapie im Bosch-Krankenhaus. Bei einem Spaziergang stieß er auf die Gruppe im Weinberg und schloss sich an. Er ist inzwischen Witwer, fährt aus dem Schwarzwald nach Stuttgart zur Lese, um sich abzulenken und Gesellschaft zu haben. Es ist eine verschworene Gemeinschaft, die sich seit Jahren bei der Lese trifft. „Neulinge sind aber immer willkommen“, sagt Eberhard Müller.