Die Galerieleiterin Isabelle Schenk-Weininger vor der Installation „Koffermauer / Klagemauer“ von Raffael Rheinsberg Foto: factum/Granville

Die Städtische Galerie zeigt in ihrer neuen, sehr sehenswerten Ausstellung Gepäckstücke und ihre Geschichten von Flucht. Mitarbeiter der Galerie führten viele Zeitzeugen-Gespräche.

Bietigheim-Bissingen - Der ideelle Wert eines Kunstwerks zeigt sich auch in seiner Langlebigkeit. Ein besonderer Glücksfall ist es, wenn das Werk über seine Zeit hinaus Gültigkeit bewahrt und plötzlich aktueller denn je erscheint. So verhält es sich auch mit der am Freitag eröffneten Ausstellung „Was ich mit mir trage . . .“ in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, die sich mit Gepäckstücken und Geschichten von Flucht befasst. „Die Meldungen von Flüchtlingen in gekenterten Booten auf dem Mittelmeer reißen derzeit nicht ab“, sagt Isabelle Schenk-Weininger. Für die Galerieleiterin war dies der Anlass, die Ausstellung zu machen.

Ausstellung in drei Teilen

Sie besteht aus drei Teilen. Im Erdgeschoss versperrt eine Mauer aus 150 Koffern den Besuchern den Weg. Die raumgreifende Installation „Koffermauer – Klagemauer“ stammt von dem Künstler Raffael Rheinsberg aus den Jahren 1976 bis 1978 und vermittelt viele Assoziationen. Von den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch vom Holocaust und den Millionen Koffern, die durch die Mordmaschinerie der Nazis herrenlos wurden. Doch Koffer haben nicht nur eine historische Bedeutung: Sie sind mit persönlichen Schicksalen und Emotionen, mit Mobilität und Neugierde verbunden.

Deutlich wird das in der Installation „Migration VII“ von der aus Bietigheim stammenden Fotografin Sabine Braun aus dem Jahr 1999. Zu sehen sind dabei 65 geöffnete Koffer, darin fotografische Leuchtkästen mit Gesichtern von Menschen, die ihr Heimatland verlassen haben, sei es durch Flucht oder freiwillig. In anderen Koffern rauscht das Meer – eine Anspielung auf die gefährliche Reise, die die Migranten auf sich genommen haben. „Sabine Brauns Arbeit ist im Moment aktueller als sie es damals war“, kommentiert Schenk-Weininger ihre Wahl.

Interessante Zeitzeugen-Gespräche

Die beiden Installationen bilden den Rahmen für den interessantesten Teil der Ausstellung: Mitarbeiter der Galerie führten Zeitzeugen-Gespräche mit Vertriebenenaus dem Zweiten Weltkrieg, mit DDR-Flüchtlingen und mit Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind. Einzelne Gepäckstücke wie ein alter Holzkoffer oder eine zerrissene Jacke geben den kurzen Geschichten mehr Anschaulichkeit. Während man also im zweiten Stockwerk bei den Koffern von Sabine Braun nur die Gesichter sieht und keine Geschichte erfährt, ist es im ersten Stock genau andersherum. „Die Interviewpartner hatten schon auch mal Tränen in den Augen“, sagt Schenk-Weininger.

Es handelt sich bei den Zeitzeugen-Gesprächen um eine klassische Lese-Ausstellung, der Besucher sollte also Zeit mitbringen. Er wird dann aber belohnt mit eindrucksvollen Geschichten, beispielsweise von einer Flucht aus der DDR mit Hilfe einer fingierten Hochzeit oder einem syrischen Flüchtling, dessen Boot im Mittelmeer gekentert ist, und der nur überlebt hat, weil er Plastikkanister zu einem Rettungsring zusammengebastelt hatte. Allen Geschichten gemein ist das Zurücklassen, der Verlust – dabei geht es aber vorrangig nicht um Gegenstände. „In so einer existenziellen Situation wird das Materielle meist unwichtig“, sagt Schenk-Weininger.

Ausstellung :Die Schau „Was ich mit mir trage . . .“ ist bis zum 26. März in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen zu sehen.