Das Vereinshaus narrt den Betrachter – Wolfgang Müller vor schrägen Fenstern. Foto: red

Wolfgang Müller gilt als der Mann, ohne den Stuttgart kein Stadtmuseum bekommen würde. Deswegen und wegen anderer Verdienste um die Vergangenheit Stuttgarts hat Müller die Ehrennadel des Landes verliehen bekommen.

S-Mitte - Die Vergangenheit, sie möge ruhn. Es ist denkwürdig, wenn diesen Satz Wolfgang Müller spricht. Seit dem Ende seines Berufslebens, das heißt seit 15 Jahren, ist ihm die Vergangenheit zur Berufung geworden. Er spricht zwar stets von wir und meint den Verschönerungsverein, dessen Vize-Vorsitzender er ist. Aber Müller gilt als der Mann, ohne den die Ratsherren Stuttgarts sich nicht hätten überzeugen lassen, im Wilhelmspalais ein Stadtmuseum zu eröffnen. Deswegen und wegen anderer Verdienste um die Vergangenheit Stuttgarts hat Müller die Ehrennadel des Landes verliehen bekommen.

„Da ist alles tiptop“

Der Teil der Vergangenheit, den er ruhen lassen will, ist, wie die Stadt einst mit den Zeugen ihrer Geschichte umging, mit den Exponaten des künftigen Museums. Sie lagerten im Tagblattturm und setzten nicht sprichwörtlich, sondern tatsächlich Schimmel an. „Schwamm drüber, das ist längst vorbei“, sagt Müller. Heute ruhen die Ausstellungsstücke im Stadtarchiv in Bad Cannstatt. „Da ist alles tipptop.“

Müller sitzt im Vereinshaus des Verschönerungsvereins. Hier ist alles Vergangenheit, Geschichte mit Geschichten. Das endet mit einem halb verrotteten Schuh in einer Vitrine, ein Zeuge der Zeit, in der im Leonhardsviertel noch Weinbauern lebten. Der Schuh wurde bei Bauarbeiten im Haus gefunden.

Das beginnt mit dem Haus selbst, das mutmaßlich Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut wurde und das Auge des Betrachters narrt. Es ist im Wortsinn schräg. Die Balken des Fachwerks stehen so schief, als hätten die Wände es sich mitten im Versuch zu kippen anders überlegt. Im Erdgeschoss wirken sogar die Fenster wie unter der Last der Baufälligkeit verzogen. Tatsächlich sind die schiefen Rahmen samt ihrer Klappläden Sonderanfertigungen.

Ein langer Kampf gegen unsichtbare Gegner

2,7 Millionen Mark standen im Jahr 1995 auf der Rechnung, nachdem der Verschönerungsverein und der Heimatbund gemeinsam den Bau hatten sanieren lassen – das 27,5fache des Kaufpreises. Müller erzählt dazu eine Geschichte aus der Vereinsgeschichte. Die Diskussion, ob der Verein sich die Investition leisten soll, „hat ihn damals fast zerrissen“, sagt er.

Sein Berufsleben deutete keineswegs auf hohes Interesse an Historischem hin. Müller war Geschäftsführer, Branche Wohnbau, 30 Jahre lang. Aber auch aus dieser Zeit seines Lebens lässt sich Geschichtliches erzählen, jüngere Wirtschaftsgeschichte. „Ich habe vier Branchenkrisen miterlebt“, sagt er. „Beim Sturz der Neuen Heimat war ich live dabei.“ Krisenerfahrung war ihm durchaus eine Hilfe beim Versuch, im Rathaus von der Idee eines Stadtmuseums zu überzeugen. „Stuttgart ist die einzige Großstadt, die keines hat“, sagt Müller. Dennoch war der Vorschlag keineswegs wohlgelitten. Ihn durchzusetzen „war ein Kampf“ – ein langer, gleichsam gegen unsichtbare Gegner.

„Das war die pure Unlust, das Thema aufzugreifen“

Denn es gab keine Argumente gegen das Museum, es gab nicht einmal Streit ums Geld. „Das war die pure Unlust, das Thema aufzugreifen“, sagt Müller. Der Verschönerungsverein sammelte Unterschriften, organisierte Symposien, um für Stadtgeschichte zu begeistern. Müller saß in ungezählten Besprechungen, um Amtsleute zu überzeugen. Am Ende „war der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster der erste, der sich öffentlich dazu bekannt hat“, sagt er. Dann entschied der Gemeinderat, die einstige Stadtbücherei im Wilhelmspalais zum Museum umzubauen.

Seitdem ist das Konzept in Arbeit, das künftig die Besucher faszinieren soll. Müller wünscht sich drei Arten von Führungen, eine für Anfänger, eine für Fortgeschrittene, eine für Fachleute, die alle eine Gemeinsamkeit eint: „Die Leute wollen, dass ein Museum mit seinen Exponaten Geschichten erzählt“, sagt er. Eine wie diese: Beim Ausmisten des Vereinshauses haben Arbeiter einen Sarg gefunden, einen, der seltsame Bilder in die Fantasie befördert. Er „wurde von Damen des Gunstgewerbes für ihre Dienste genutzt“, vermerkten die Vereinschronisten. Der Sarg steht heute tatsächlich in einem Museum – in Kassel.