Schuld am starken Zuzug von Männer ist das spezifische Ausbildungsangebot in Stuttgart. Foto: dpa

Während in anderen Großstädten neuerdings Stadtflucht herrscht, bleibt die Bevölkerungszahl in Stuttgart sehr konstant. Zumindest die der Männer. Noch nie hatte Stuttgart mehr Zuzüge des vermeintlich starken Geschlechts. Dabei spielen auch Flüchtlinge eine Rolle.

Stuttgart - Wenn es so weitergeht, müssen die Stuttgarter über so etwas wie den Raub der Sabinerinnen nachdenken. Die Römer wussten sich in der Gründungszeit nur noch mit einem Frauenraub zu behelfen, als sie unter einem massiven Mangel des schönen Geschlechts litten, so die Legende.

Seit zehn Jahren ziehen immer mehr Männer nach Stuttgart – gleichzeitig verlassen immer weniger die Stadt. Am Ende des Jahres 2015 lebten 6000 Männer mehr in der Stadt als am Anfang, besagt eine aktuelle Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die das Thema Stadtflucht unter die Lupe nahm. Der bundesweite Trend läuft so: Erstmals seit 20 Jahren zog es mehr Menschen aus den Großstädten hinaus als hinein.

Dieser Effekt ist zwar – wenn man die ausländische Stadtbevölkerung, die stetig wächst, außen vor lässt – auch in Stuttgart seit 2013 festzustellen, allerdings nicht so deutlich wie in Berlin oder Hamburg.

Noch ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Landeshauptstadt ausgeglichen, erstere haben sogar noch leicht die Überhand: Am 31. Juli lebten in Stuttgart 303 176 Männer und 303 729 Frauen. Das Verhältnis kippt aber jetzt laut Konstantin Kholodilin vom DIW. „Seit zehn Jahren verschiebt sich das Verhältnis zu immer mehr Männern“, sagt er. Seit 2006 zogen über 18 000 Männer mehr nach Stuttgart, als abgewandert sind – die Zahl der Frauen ist im selben Zeitraum nur um 4000 gestiegen.

Ist das Ausbildungsangebot verantwortlich?

Woran liegt das? Ist es die männerdomminierte Industrie, die das zu verantworten hat? Oder der Flüchtlingszustrom, der überwiegend aus Männern besteht? Werner Brachat-Schwarz, Leiter des Referats für Bevölkerungserfassung beim statistischen Landesamt Baden-Württemberg, ist überzeugt, das der gute Arbeitsmarkt im verarbeitenden Gewerbe und die Geschlechtszugehörigkeit der meisten Schutzsuchenden aus dem Ausland eine Rolle spielen. Aber er hat da auch noch eine andere Theorie. Es geht um das hiesige Ausbildungsangebot.

„Nur in der Altersgruppe der 18- bis unter 30-Jährigen – also im Auszubildenden- und Studierendenalter – war der Wanderungsgewinn bei der deutschen Bevölkerung vergangenes Jahr klar positiv“, sagt er. Insgesamt kamen 2015 ganze 4094 mehr Menschen aus dieser Altersgruppe nach Stuttgart, als abgewandert sind. Das stellte auch das Statistischen Amt Stuttgart fest – das allerdings außer Acht ließ, dass es sich dabei vor allem um junge Männer handelte.

Walter Rogg, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, würde sich ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis wünschen. „Das unterstützen wir durch die Förderung von Projekten in der Kreativwirtschaft“, sagt er.

Der Anteil weiblicher Azubis sinkt

Dass Stuttgart vor allem ein regionales Zentrum für männliche Auszubildende und Studenten ist, zeigen die Industrie- und Handelskammer (IHK) und die Uni Stuttgart. Beide berichten von eher verhaltener Nachfrage von Frauen. „Es stimmt, dass es in Stuttgart weniger Frauen unter den Auszubildenden als früher gibt“, sagt Anke Seifert, eine Sprecherin der IHK Region Stuttgart. Lag der Anteil der weiblichen Azubis in Stuttgarter Betrieben vor zehn Jahren noch bei 47,4 Prozent, waren es Ende 2015 nur noch 44,2 Prozent.

Etwas schwächer ist dieser Trend an der Universität, zeigt aber in die selbe Richtung: War hier 2005 noch über die Hälfte der Studierenden an der Uni Stuttgart weiblich, standen Ende 2015 8129 Frauen 8978 Männern gegenüber. Das scheint nicht viel. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass im Bundesdurchschnitt immer mehr Frauen studieren – nur an der Uni Stuttgart offenbar nicht.

Schwund durch Wanderbewegungen gibt es vor allem in den Bevölkerungsgruppen der über 50-Jährigen, aus der über 1000 Deutsche weggezogen sind, und der am deutlichsten betroffenen Gruppe der 30- bis unter 50-Jährige – zusammen mit Minderjährigen. Hier lebten Ende 2015 ganze 3751 Menschen weniger in Stuttgart als im Vorjahr. „Das lässt darauf schließen, dass vor allem deutsche Familien und Paare in der Familiengründungsphase die Stadt verlassen haben“, sagt Brachat-Schwarz vom statistischen Landesamt.

Auch ein Blick auf die Stadtbezirke zeigt, dass sich in Stuttgart immer mehr Männer breit machen. Waren es vor zehn Jahren mit Wangen und Vaihingen gerade mal zwei Stadtbezirke, in denen mehr Männer als Frauen lebten, wird heute fast jeder zweite Stadtbezirk von Männern dominiert. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Innenstadt- oder Randbezirke handelt. Der männlichste Stadtteil Stuttgarts ist Wangen – hier leben fast zehn Prozent mehr Männer als Frauen.