So präsentierte sich der erste von Carl Etzel erbaute Stuttgarter Bahnhof von 1846 in der heutigen Lautenschlagerstraße. Schauen Sie sich in unserer Bildergalerie mehr Impressionen an. Foto: Archiv Amt für Stadtplanung

König Wilhelm I. förderte die Infrastruktur und ließ den ersten Bahnhof in Stuttgart bauen.

Stuttgart - Württemberg war im 18. Jahrhundert häufig von Hungersnöten geplagt. Eine Wende brachte die Königlich Württembergische Staatseisenbahn, die den Handel im rohstoffarmen Land vorantrieb.

König Wilhelm I. von Württemberg (1781–1864) war pragmatisch veranlagt und hatte für schöne Künste nicht viel übrig. In Stuttgart hatten die Brüder Boisserée jahrelang eine Sammlung alter Meister ausgestellt und dem Herrscher zum Kauf angeboten. Ganz im Sinne seines Königs soll der Abgeordnete Ludwig Peter Damian von Mosthaf mit den Worten „mir brauchet koi Kunscht, mir brauchat Grumbiera“, den Kauf der Sammlung abgelehnt haben. König Ludwig von Bayern griff dagegen zu und legte mit der Sammlung der Brüder den Grundstein zur Alten Pinakothek in München.

Der Herrscher suchte Mittel und Wege, Wohlstand zu verschaffen

Trotz ihrer Versäumnisse in Sachen Kunst haben Wilhelm I. und seine Regierung sehr viel für die Entwicklung Württembergs getan. Der Herrscher suchte Mittel und Wege, um seinem an Rohstoffen armen Land, in dem die Menschen nach jeder durch das Klima verursachten Missernte Hunger leiden mussten, Wohlstand zu verschaffen. Dafür nutzte er den schwäbischen Tüftlergeist und gründete die „Zentralstelle für Handel und Gewerbe“, eine Art Landesgewerbeamt, und trieb damit die Industrialisierung voran.

Weil die Güter befördert werden mussten, war natürlich die Eisenbahn von großem Interesse. Im Oktober 1845 verkehrte zwischen Cannstatt und Esslingen die erste Eisenbahn. Ihre mit Holz verkleideten Waggons zierten die glänzenden Messingbuchstaben KWSE als Abkürzung für Königlich Württembergische Staats-Eisenbahn. Wenn der Zug über Nacht in Esslingen blieb, schrieben die Esslinger unter die Buchstaben eine andere Lesart für KWSE: „Kein Württemberger stirbt ehrlich.“ Die ehemals stolzen freien Reichsstädter litten damals immer noch unter ihrer Eingliederung ins Königreich Württemberg. Stand der Zug über Nacht in Cannstatt ersetzte man dort den Esslinger Verbalangriff durch „Koi Wunder schtinkat d’ Esslinger“ – eine Anspielung auf die mittelalterliche Legende von der Vertreibung des Teufels aus Esslingen durch das unnachahmliche Aroma von Zwiebeln.

Auch Stuttgart als Residenzstadt sollte ans Eisenbahnnetz angeschlossen werden, aber dazwischen lag ein Hinderniss: der Kahlenberg, den der König zum Englischen Garten anlegen ließ, in Rosenstein umbenannte und dort sein Residenzschloss baute.

Etzels Vater hatte sich als Baumeister der Neuen Weinsteige Namen gemacht

Mit der Untertunnelung des Kahlenbergs beauftragte König Wilhelm den international erfahrenen Eisenbahningenieur und Architekten Carl Etzel (1812–1865), der 1864 mit der Planung und dem Bau der Brennerbahn Weltruhm erlangen sollte. Carl Etzels Vater Eberhard hatte sich bereits in Stuttgart als Baumeister der Neuen Weinsteige einen Namen gemacht. Carl Etzel arbeitete in rasantem Tempo und führte den Tunnel exakt unter dem Rosensteinschloss hindurch. Weil dieser ein fürstlicher Tunnel war, wurde er innen mit Klinker verkleidet. Das Bauwerk existiert heute noch, ist aber verschlossen.

Carl Etzels Bahnlinie führte bis nach Stuttgart hinein, und in der damaligen Schlossstraße, heute Eugen-Bolz-Straße, bauten Etzel und der Architekt Georg Morlock, der später das Postdörfle und die erste Markthalle errichtete, den Bahnhof, der bald wegen neuer Zuglinien erweitert werden musste. Mit der Linie von Stuttgart über Feuerbach in Richtung Ludwigsburg veränderte sich die Dorfstruktur von Feuerbach und Zuffenhausen durch die Gewerbegebiete zwischen den Ortskernen und den Bahnhöfen.

Lange vor Stuttgart 21 diskutierte man in Stuttgart über einen Durchgangsbahnhof

In der Weiterführung der Bahnlinien gelangen Etzel die Meisterleistungen des Albaufstiegs und des Enztalviadukts. Später, in den 1870er Jahren, wurde dann der Schwarzwald über Zuffenhausen, Weil der Stadt und Calw an die Hauptstadt angeschlossen, zwischen 1866 und 1879 entstand die Gäubahn, um Industrieprodukte aus der Stadt heraus Richtung Herrenberg zu bringen und im Gegenzug landwirtschaftliche Erzeugnisse in die Stadt zu fahren. Damit sich der Höhenunterschied vom auf 250 Meter Höhe gelegenen Bahnhof bis zum 480 Meter hoch gelegenen Rohr besser überbrücken ließ, wurde die Linie weit aus dem Tal hinaus die Hänge hinaufgeführt.

Weil an der Schwelle zum 20. Jahrhundert der Bahnhof nicht mehr den Erfordernissen der Zeit genügte, plante man einen neuen, den heutigen. Auch damals, lange vor dem Bahnprojekt Stuttgart 21, war ein Durchgangsbahnhof in der Diskussion. 1908 war vorgesehen, unter dem Kriegsberg im Tunnel eine Schleife zu fahren und rechtwinklig zum heutigen Gleiskörper einen Durchgangsbahnhof zu bauen.

Ein weiterer Tunnel Richtung Stuttgart-Ost sollte die Trasse ins Neckartal führen. Diese Pläne für den Durchgangsbahnhof sollen vom königlichen Verkehrsminister mit den Worten verworfen worden sein: „Durch Stuttgart fährt man nicht durch, in Stuttgart kommt man an.“