Astrid Meyerfeldt als Caligula, Paul Schröder als Helicon. Foto: Mirbach

Endzeitstimmung im Nord am Pragsattel: Der junge polnische Regisseur Krzysztof Garbaczewski macht aus Albert Camus’ Terrordrama „Caligula“ einen 80-minütigen Live-Film.

Endzeitstimmung im Nord am Pragsattel: Der junge polnische Regisseur Krzysztof Garbaczewski macht aus Albert Camus’ Terrordrama „Caligula“ einen 80-minütigen Live-Film.

Stuttgart - Stehen zwei Schauspieler in einer Toilette. Eine schöne Frau (Astrid Meyerfeldt als weiblicher Caligula) im lindgrünen Sommerkleid und ein junger Mann (Paul Schröder als Helicon) im 80er-Jahre-Opa-Cardigan. Caligula erzählt mit leichtem Ton davon, sie habe den Mond gesucht, aber nicht bekommen. Helicon antwortet ebenso leichthin, jegliches Verwundern unterdrückend, das sei ja ziemlich schade. Aber solches Begehren könne man halt leider selten bis zu Ende führen – ebenso wie Caligulas Wunsch nach Unsterblichkeit oder Glück.

Schnitt. Die Kamera zoomt auf eine Frau mit kajalumrandeten Augen und T-Shirt mit „Public“-Aufschrift (Katharina Knap). Es folgen ein schräger Rap über Lüge und Moral, über die Frage, ob Kunst in einer miesen Welt eine Lösung darstellen könne (eher nein) und über die Umwertung aller Werte.

Schnitt. Astrid Meyerfeldt und Katharina Knap spielen, von Videokünstlern gefilmt (Tobias Dusch, Philip Roscher) und verdoppelt auf zwei Leinwände übertragen, eine Szene aus Albert Camus’ „Caligula“. Meyerfeldts Caligula, paranoid, doch logisch argumentierend, unterstellt Revolte: Knap als Mereia trinke Gegengift. Das bedeutet: Entweder vermute Mereia zu Unrecht, dass Caligula sie vergifte, oder sie widersetze sich Caligulas tatsächlicher Tötungsabsicht, was wiederum Revolte bedeutet. So oder so, die Strafe ist: ein neues Getränk, das wirklich tötet.

Es sind jetzt schon ziemlich viele Minuten vergangen am Samstag in der Stuttgarter Staatsschauspielstätte Nord, und langsam dämmert einem, dass das wohl so weitergehen wird. Die Spielfläche bleibt leer. Albert Camus’ „Caligula“ wird hinter dem Rücken des auf der Bühne sitzenden Publikums verhandelt und dahinter, in den Gängen des Theaters. Dies ist keine billige Reaktion auf Caligulas Satz vom Misstrauen gegenüber der Schauspielkunst, sondern der Versuch einer Reaktion auf den diktatorischen Irrsinn Caligulas. Deshalb verbindet der Regisseur die antike Situation des Ausgeliefertseins des Volkes mit der heutigen medialen Allüberwachung – weshalb man Fußgänger in Einkaufsstraßen sieht und die Kamera gelegentlich ins Publikum hält.

Lohnt der Aufwand? Absolut. Zwar hätte man das hervorragende Ensemble auch gern leibhaftig gesehen, doch an diesem Abend gibt es halt kaum ein echtes Spiel im falschen Terrorleben. Herrscherin Caligula wird nach dem Tod der Geliebten Drusilla mit der Gnadenlosigkeit oder Absenz der Götter, mit der Absurdität des Lebens konfrontiert und reagiert mit einem Experiment: streift jegliche Fesseln der Moral wie der gesellschaftlichen Übereinkünfte ab und übt gottgleich tödlich Willkür. Keiner kann sich sicher fühlen in einer absurden Welt. Dieses Gefühl vermittelt der junge polnische Regisseur Krzyszof Garbaczewski. Lässt eine Jesusfigur kreuzigen (Johannes May, der in einer starken Szene auch den sanften, die Liebe als Lebensziel predigenden Liebhaber Caligulas spielt). Kreiert OP-Saal-Szenen und kurzzeitig innige Mutter-Tochter/Liebhaberinnen-Szenen (Sandra Gerling als Dichter Scipio), zeigt einen durchgeknallten, an (Überwachungs-?)Monitoren hantierenden Gegner Caligulas (Sebastian Röhrle), der einmal ein „echtes“ vor Publikum gespieltes Gespräch über die Möglichkeit einer „offenen“ Aussprache mit der auf Leichensäcken liegenden Caligula führt.

Eine kalte, fatalistische Stimmung und labyrinthische Ausweglosigkeit, hergestellt durch eine Doppelleinwand. Die Figuren vervielfältigen sich hier, es entstehen kaleidoskopartige Gebilde, ein bisschen altmodisch psychedelisch (Video: Robert Mleczko). Man kennt diese seit Jahrzehnten in der Berliner Volksbühne und auch andernorts praktizierte Verweigerung eines irgendwie authentischen Erlebens und Mitleidens. Auch außerhalb des Theaters starren alle ständig auf Bildschirme, bekommen Information und Ereignisse vor allem medial vermittelt. Das hat im Theater aber auch interessante Effekte, da man zwar Bilder sieht, aber doch hört, wie hinter einem im Bühnenhintergrund ganz real geschnauft, gerappt, geschrien, geschossen wird.

Während kürzlich an selber Stelle in Sarah Kanes „Zerbombt“ das Leiden am Irrsinn des Lebens etwas naiv ausgestellt wurde, überzeugt dieser konsequente Verzicht aufs vermeintlich Authentische, der auch das Spiel mit Identitäten und Geschlechterrollen einschließt. Er verstärkt allerdings auch eines: Lethargie. Eine schon von Anfang an kaputte Gesellschaft wird vorgeführt. Für welche Ziele soll es sich da zu kämpfen lohnen? Diese Hoffnungslosigkeit senkt zudem die ohnehin kaum vorhandene dramatische Fallhöhe, verstärkt dafür das Thesenhafte und Nichtdramatische des 1939 geschriebenen, 1945 uraufgeführten Stückes des Philosophen und Romanciers.

Die Verweigerung authentischen Spielens mündet in eine interessante Verräumlichung des Höhlengleichnisses Platons – immer nur die medialen Schatten und Abbilder zu zeigen, jegliche Ursprünglichkeit verneinend. Das erschöpft sich in seiner Originalität recht schnell. Lohnenswert ist ein Blick auf diese Schattenwelt aber unbedingt.

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