Kostümprobe im Fundus Foto: JU Ostkreuz

Im Rahmen des Theaterprojekts „Nord – Ein Stadtteil dreht sich“ wird der Stuttgarter Norden in all seiner Vielseitigkeit erkundet. Dazu ist auch ein Film entstanden.

Stuttgart – Betrachtet man den Killesberg, das Coop- und das Nordbahnhofsviertel gesondert, mag man kaum glauben, dass sie sich alle im selben Stadtteil befinden. Zum Nachdenken über dieses Ungleichgewicht von Lebenswelten regte in den vergangenen Tagen das Schauspiel Stuttgart mit seinem Projekt „Nord – Ein Stadtteil dreht sich“ an. Um den Bewohnern des Nordens ein Gefühl der Einheitsbildung zu geben, hat man gar eine eigene Hymne, den „Nord-Song“, geschrieben: „Oberschicht, Unterschicht, Mittelschicht – Nordschicht!“ heißt es da.

Verteilt über zwei Wochen hat das Team um Regisseur Malte Jelden Veranstaltungen organisiert, die zum Verschmelzen der unterschiedlichen Bewohnerkreise beitragen sollen. Und dabei wurde Filmmaterial gesammelt. Das Projekt „Nord – Ein Stadtteil dreht sich“ des Schauspiels Stuttgart hat seinen fünften und letzten Drehtag hinter sich. Das große Finale steht noch aus: die Präsentation des entstandenen Streifens, der an diesem Mittwoch, Donnerstag und Freitag zu sehen sein wird.

Letzte Station am vergangenen Freitag war die Moschee Ulu Camii. Viele Helfer der verschiedenen Gemeinden unterstützen das Event, führten etwa durch die Moschee, aber auch durch die beiden Kirchen St. Georg und St. Martin. „Nur wenige wissen, dass es diese große, schöne Moschee hier überhaupt gibt“, erzählt Jelden, „selbst für Bewohner aus der Nachbarschaft war das neu. Dabei steht sie schon seit den 80ern.“

Fünfmal am Tag beten hier Muslime. Dem umfangreicheren Freitagsgebet wohnten die Führungsteilnehmer bei, wobei die wenigsten auch nur eine Silbe der arabischen Gebete verstehen konnten. Interessiertes Fragen während der Führung bescheinigt, dass sich bisweilen kaum einer mit der unbekannten, doch mittlerweile allgegenwärtigen Kultur auseinandergesetzt hat. Es gibt eben mehr zu wissen als die Tatsache, dass man sich vor dem Betreten der Moschee von seinen Schuhen trennt.

Wie betet ein Muslim? Spricht etwa jeder fließend Arabisch? Wofür stehen die Schriftzeichen? Die Information, dass einige Muslime bei bestimmten Gebeten zunächst lediglich deren Phonetik, den Klang, auswendig lernen und erst später deren Inhalt erforschen, kommentiert eine aufgeweckte Besucherin beim Verlassen des Gebäudes: „Wie beim Latein im Christentum – da weiß auch fast keiner, was er eigentlich betet.“

Die Führung allein ist schon eine großartige Gelegenheit der Verständigung, die man hier in Kooperation mit der Moscheegemeinde erarbeitet hat. Deren Vorsitzender, Kazim Per, sprach im Anschluss an Darbietungen des Deutsch-Arabischen HiwarChors und des United Nord Orchestra, die gegen den Donner ansangen: „Unsere Gemeinde versteht sich als ein Teil des Stuttgarter Nordens. Die heutige Veranstaltung gibt später die Möglichkeit, das Fastenbrechen live zu erleben.“

Dafür hatte man draußen eine lange Reihe von Bänken und Tischen aufgebaut. Malte Jelden war sich vor Beginn der Veranstaltung noch unsicher: „Ich hoffe, dass nachher auch genug Leute kommen und mit uns essen.“ Es folgten weitere Reden, unter anderem von Stuttgarts Integrationsbeauftragtem Gari Pavkovic, der in Anspielung auf das neue Willkommenszentrum am Charlottenplatz erklärte, er sei „erst zufrieden, wenn die ganze Stadt ein Willkommenszentrum geworden ist“. Ebenso verstärkten die Lautsprecher Worte Cem Özdemirs, der vor allem anderswo spürbare Negativauswirkungen des Glaubens kritisierte: „Wer tötet, kann sich niemals auf die Religion berufen!“ Der Applaus fiel ihm ins Wort.

Teile des Abends werden auch im Film zu sehen sein, der gleich an drei Tagen hintereinander im eigens dafür errichteten Freiluft-Kino zwischen dem Jugendhaus Nord und Haus 49 (Mittnachtstraße 20) ausgestrahlt wird – an diesem Mittwoch, Donnerstag und Freitag jeweils um 20 Uhr. An den vier vorangegangenen Drehtagen behandelte man Themen wie Bildung, öffentlicher Raum, Sport, Flucht und Wohnen. Es wurden Schüler unterschiedlicher Bildungseinrichtungen ausgetauscht, ein Eiscafé eröffnet oder Unfälle inszeniert, um im Anschluss den Stadtteil nach dessen Meinung zu fragen. Gemeinsam mit dem SV Prag organisierte man eine Nord-WM für Jugendliche. Neben der Vorführung erwarten den Gast Theater und Musik. Ach ja, Jeldens Hoffnung bezüglich des Fastenbrechens hat sich übrigens erfüllt: Es kamen genug. Und es war gut.