Ein ISAF-Soldat (International Security Assistance Force) der Bundeswehr nahe der Stadt Baghlan in Afghanistan Foto: dapd

Vor der Uraufführung: Regisseur Volker Lösch über "Homers Ilias / Achill in Afghanistan".

Stuttgart - Das Staatsschauspiel Stuttgart wagt den Spagat: Es verknüpft die vor etwa 2600 Jahren entstandene "Ilias" von Homer mit den Aussagen von posttraumatisierten Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan. Am Freitag (14. Oktober) um 19 Uhr ist die Uraufführung von "Homers Ilias / Achill in Afghanistan" von Volker Lösch.

Herr Lösch, wie bringen Sie so ganz verschiedene Texte zusammen?
Bei Homer verwenden wir die Übersetzung von Raoul Schrott. Er hat eine sehr zeitnahe Sprache, und er verzichtet auf die Übertragung in den Hexameter. Er übersetzt nicht vers- und wortgetreu, sondern verfolgt Vers- und Wortsinn. Denn die Übertragung von Hexameter ins Deutsche kann nicht wirklich funktionieren, das Resultat ist eine ziemlich geschwollene Sprache. Die Übersetzung von Schrott ist rhythmisch sehr süffig. Und er wechselt auch mal zur wörtlichen Rede. Das ist gut für das Theater. Aktuell haben wir Interviews mit Bundeswehrsoldaten geführt, die in Afghanistan waren und heute unter dem posttraumatischen Stresssyndrom leiden. Wir sind dabei auf einen Soldaten gestoßen, der sämtliche Kriegsgräuel durchlebt hat. Seine Aussagen bilden eine Brücke zwischen den Gesängen von Homer.

Wieso kamen Sie jetzt ausgerechnet auf Homer?
Das ist einer der umfangreichsten erhaltenen abendländischen Texte. Das besondere daran ist: Homer assoziiert Glück mit Krieg. Das heißt: Es gibt über alle Maßen grausame Schlachtenbeschreibungen, der Schmerz kommt allerdings bei ihm nicht vor, stattdessen aber die Feier des Tötens.

Die Aussagen der ehemaligen Soldaten werden sicherlich sehr plastisch und realitätsnah sein im Gegensatz zur antiken Vorlage. Beißt sich das nicht?
Der antike Text hat tragödisches Potential, die Aussagen der Soldaten verankern diesen Text in der Gegenwart. Wir wollen auf diese Weise ein Thema auf die Bühne bringen, dem man hier keinen Platz einräumen möchte.

Welches Thema wird denn unterdrückt?
Die Kriegsheimkehrer leiden darunter, dass nicht offen darüber gesprochen wird, dass wir uns in einem Krieg befinden. Dafür gibt es keine Öffentlichkeit. Aufgrund ihrer traumatischen Erinnerungen sind sie nicht mehr arbeitsfähig und kämpfen jetzt um ihre Rente. Es ist nachvollziehbar, dass hier nicht gerne über Krieg gesprochen wird. Aber eben weil das so ist, sterben in Afghanistan Soldaten unter anderem daran, dass sie mit schlechtem Material ausgerüstet sind. Der Kampfpanzer Leopard 2 etwa gilt weltweit als der Beste. Doch die Bundeswehr setzt ihn nicht ein in Afghanistan, angeblich weil er zu schwer für die Brücken vor Ort sei. Aber die Kanadier verwenden ihn schon seit Jahren erfolgreich. Das Argument ist, die Bundeswehr ist keine Angriffs- und Besatzungsarmee. Ist sie aber faktisch doch. Es gibt inzwischen viel Literatur über die Geschehnisse in Afghanistan, aber Aussagen wie diese finden Sie kaum in einem Buch.

Die Politiker betonen die Friedensmission im Afghanistan-Einsatz. Was ist da dran?
Die ist aber im Land nicht angekommen. In Afghanistan findet vor allem Krieg statt. Es gibt Sondereinsatzkommandos, die handeln autonom. Die machen keine Unterschiede zwischen Taliban und Zivilisten, wenn sie sich im "feindlichen" Gebiet aufhalten. Und natürlich werden die deutschen Soldaten, im Schlepptau der amerikanischen, als Besatzer empfunden, die möglichst bald abziehen sollen. Seit 2001 hat sich in der Wahrnehmung einiges geändert.

Wie werten denn die ehemaligen Kriegsteilnehmer den angekündigten Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan?
Was die Forderung nach einem sofortigen Rückzug betrifft, befinden sie sich in einer paradoxen Situation. Wenn das geschieht, waren all die bisherigen Opfer vergeblich, argumentieren sie. Dabei ist allen klar, was nach dem Rückzug passiert. Die Eliten im Land sind korrupter denn je, die Taliban stärker denn je. Nach dem Rückzug wird alles wieder sein wie früher. Die afghanischen Frauen sagen heute: Was ihr zurücklasst, sind noch mehr Gewalt und noch mehr bewaffnete Männer.

Wie geht denn der ehemalige Kriegsteilnehmer heute mit seinen Erfahrungen um?
Einerseits sagt er, dass er jederzeit wieder in den Krieg ziehen würde, wenn er könnte. Andererseits ist klar, dass die gesundheitlichen Folgen des Erlebten so hoch sind, dass er inzwischen eine hart erkämpfte Rente erhält. Es ist diese extreme Solidarität in extrem lebensbedrohlichen Situationen, die die Soldaten zusammenschweißt. Kameradschaft ist ein zentraler Begriff, mit dem sich das Soldatentum verbindet. Und er beschreibt, dass auch Gewalt süchtig machen kann.

Zurück zur Inszenierung: Arbeiten Sie wieder mit einem Chor?
Ja, aber dieses Mal nicht mit Laien, sondern mit zwölf Profis. Wir haben unsere Chorarbeit 2003 mit der "Orestie" in Dresden begonnen. Damals wurden wir dafür ziemlich angegriffen. Heute finden Sie in beinahe jedem Theater Chorstücke. Chöre sind eigentlich seit der Antike ein selbstverständliches Theaterelement, ein Chor schafft Distanz. Das Individuum kann sich dem Chor gegenüber stellen. Das bürgerliche Theater hat den Chor in die Oper verlagert, aber inzwischen ist er ins Sprechtheater zurückgekehrt.