Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika kann kaum noch sprechen. Foto: AP

Der miserable Gesundheitszustand von Algeriens Präsident verkörpert den Verfall des ganzen Landes.

Kairo - Das letzte Foto ihres Präsidenten mit einem Staatsgast sahen die Algerier vor knapp einem Jahr – und waren schockiert. Kraftlos, mit leeren Augen und herunterhängendem Mund saß Abdelaziz Bouteflika in seinem Sessel, neben sich ein Glas Wasser und eine Schachtel Medikamente, während der damalige französische Regierungschef Manuel Valls lächelnd in die Kamera blickte. „Das Bild zeigt schwarz auf weiß, Bouteflika ist nicht mehr in der Lage, die kleinste Entscheidung zu fällen, geschweige denn ein ganzes Land zu steuern“, schrieb damals die Zeitung „Le Matin d’Algérie“. Andere Zeitungen sprachen von einem Schlag für die öffentliche Moral und fragten, wo das Recht des kranken Präsidenten auf seine persönliche Würde bleibe.

Solche Fotos, diesmal mit Angela Merkel, wollte die Umgebung Bouteflikas nicht noch einmal riskieren. Seit einem Schlaganfall vor vier Jahren sitzt der 79-jährige Greis im Rollstuhl und kann kaum noch sprechen. Und so wurde der zweitägige Staatsbesuch der deutschen Kanzlerin in letzter Minute abgesagt. Zur Begründung hieß es offiziell, der Präsident leide an einer akuten Bronchitis. Am meisten aber beunruhigt die Bevölkerung, dass Bouteflikas persönlicher Verfall gleichzeitig den nationalen Verfall ihres gesamten Landes verkörpert. Seit der Ölpreis vor zwei Jahren kollabierte, stehen die Zeichen auf Sturm. 97 Prozent der Deviseneinnahmen Algeriens hängen vom Öl- und Gasexport ab. Eine nennenswerte Industrie gibt es nicht, die meisten Lebensmittel müssen importiert werden. Korruption, Staatsmafia und autoritäre Bürokratie bilden einen flächendeckenden Filz.

Seit Jahrzehnten werden die Ressourcen des Landes von einer Oligarchie verprasst

„Wir sind ein reiches Land mit einer armen Bevölkerung“, sagen die Menschen. Denn seit Jahrzehnten werden die Ressourcen von einer Oligarchie aus Generälen, Politikern und Geschäftsleuten verprasst. „Le Pouvoir“ oder „die Macht“ nennen die Bürger diese gesichts- und namenlose Nomenklatura, zu der etwa 500 000 Leute zählen. Ein Viertel des 40-Millionen-Volkes dagegen lebt in Not. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei elf, bei den Jüngeren sogar bei dreißig Prozent. Eine Million von ihnen wird zu Minilöhnen in staatlichen Programmen aufbewahrt, ohne Aussicht auf eine feste Anstellung, ein ordentliches Gehalt und die Chance, eine Familie zu gründen.

Und so protestiert der frustrierte Nachwuchs inzwischen Woche für Woche gegen die steigenden Preise, plündert Geschäfte und liefert sich – wie in Bejaia, Boumerdes und Bouira – heftige Straßenschlachten mit der Polizei. „Alle leiden, nur die Mächtigen führen ein Leben in Saus und Braus“, klagen die Demonstranten. Den jüngsten Staatshaushalt musste die Regierung mit einem Schlag von 110 auf 63 Milliarden Dollar kürzen, während der Wert des einheimischen Dinars in rasantem Tempo verfällt. Obendrein erhöhte die Führung Steuern und Gebühren, um den überdimensionierten Staats- und Sicherheitsapparat weiter am Laufen zu halten.

„Wir kennen keine Arabischen Frühling, und der Arabische Frühling kennt uns nicht“

Wie nervös die Herrschenden angesichts der wachsenden Unruhen sind, zeigen ihre öffentlichen Ausfälle. Premierminister Abdelmalek Sellal beschimpfte die Frustrierten als Vandalen und warf ihnen vor, vom Ausland gesteuert zu sein. Über die sozialen Medien appellierte er an die Bevölkerung, als Protest gegen das Chaos algerische Fahnen in die Fenster zu hängen. Die Imame des Landes erhielten vom Religionsministerium die Order, in den 30 000 Moscheen über die Bedeutung von Sicherheit und Stabilität als Grundprinzipien der Scharia zu predigen. „Algerien ist ein stabiles Land, und alle Versuche, es zu destabilisieren, werden scheitern“, erklärte Sellal. „Diese Leute denken an den Arabischen Frühling – wir aber kennen keinen Arabischen Frühling, und der Arabische Frühling kennt uns nicht.“