Von Markus BrauerJuri Gagarin, der am 12. April 1961 als erster

Von Markus Brauer

Juri Gagarin, der am 12. April 1961 als erster Mensch in den Weltraum flog, soll nach seiner Rückkehr zur Erde gesagt haben: Er habe Gott im All nicht gefunden. Ob der Ausspruch authentisch ist, sei dahingestellt. Aber er drückt treffend die rastlose Suche des Menschen nach dem letzten und größten Geheimnis aus. Die Erkundung des Weltalls war ein Schritt ins Unbekannte. Ähnliches geschieht derzeit 100 Meter tief unter der Erde in einem Tunnel zwischen dem Genfer See und dem französischen Jura. Weltmaschine hat man den Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) des Kernforschungszentrums Cern getauft, weil er unser Wissen über die Grundlagen des Universums neu definieren soll.

Im Gegensatz zu den russischen und amerikanischen Himmelsstürmern suchen die Cern-Physiker die Antworten auf die allerletzten Fragen jedoch nicht in den unendlichen Weiten des Alls, sondern in der Welt des Allerkleinsten - der Atome und Elementarteilchen. Mit Hilfe des LHC-Giganten wollen sie in bisher unbekannte Regionen von Raum und Zeit vordringen. Dass sie auf Gott selbst stoßen werden, ist genauso unwahrscheinlich wie bei Juri Gagarins Kurzausflug ins Universum. Immerhin könnten sie die Higgs-Teilchen finden - auch "Gott-Teilchen" genannt -, die

auf der Cern-Hitliste der meistgesuchten Objekte ganz oben stehen.

Die Spurensuche ist rein wissenschaftlich, beruht also auf Beweisen, Experimenten und Fakten. Und doch hat das, was in der Genfer Weltmaschine die nächsten Jahre stattfinden wird, durchaus eine religiöse Dimension. Treffend sieht der Cern-Forscher Erich Griesmayer die "Wissenschaft am Cern als Schnittstelle der Physik, des rational Erklärbaren, mit der Religion" - der Suche nach Gott. Aus christlicher Sicht ermöglichen die Cern-Experimente gleichsam einen Blick in das Laboratorium des Weltenschöpfers.

Es gibt zwei Extreme: Die einen glauben, man könne Gott experimentell nachweisen. Die anderen sehen die Existenz Gottes durch Forschungen wie die am Cern ein für alle Mal widergelegt. Beide Sichtweisen greifen zu kurz. Doch zuerst ein Blick auf die Fakten: Im Teilchenbeschleuniger knallen Wasserstoffkerne auf engstem Raum nahezu mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Dabei entstehen Bedingungen, wie sie Billionstel Sekunden nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahre geherrscht haben. Dieser atemberaubende Vorgang ist real und messbar. Für diejenigen, die sich mit einer materialistischen Sicht der Dinge zufrieden geben, ist diese Realität die einzig denkbare. Religiösen Menschen aber ist das entschieden zu wenig. Für sie ist die Welt mehr als die Summe ihrer Atome. Genauso wie Ostern mehr ist als bemalte Eier und Schokohasen im Garten suchen.

Der christliche Glaube erzählt von tieferen Wahrheiten - von dem, was vor dem Urknall war und was immer sein wird. Das große Nichts? Die reine Energie? Die Endlosschleife von Werden und Vergehen? Mitnichten. Es ist ein Wesen, das in den Religionen unterschiedliche Namen hat - und doch immer der eine unendliche Gott ist. Was im Genfer Supertunnel geschieht, ist eine physikalische und theologische Revolution unseres Weltbilds. Auch wenn die Cern-Forscher Gott nicht finden werden, so doch seine Handschrift. Jedes Elementarteilchen, jede Dimension, jede Materie, jede Energie, auf die sie stoßen, ist Teil des Ganzen, das keine noch so ausgeklügelte Technologie je ergründen wird.

Aus dem Staunen über die unendliche Vielfalt des Daseins kann der Glaube an Gott erwachsen. Und die Hoffnung, dass diese wunderbare Welt der Neutronen, Protonen und Quarks genauso wenig wie die der Planeten, Sonnen und Sterne im Nichts verschwinden wird. Wie heißt es bei Friedrich Hölderlin: "Nicht eingegrenzt vom Größten und dennoch einbeschlossen vom Kleinsten, das ist göttlich."