Der Blick vom Zehn-Meter-Turm. Foto: Peter Petsch

Seit er für das Publikum gesperrt ist, richten sich alle Augen auf den Stuttgarter Fernsehturm. Doch es gibt noch viele andere Bauwerke in der Stadt, die hoch hinausstreben. Wir stellen sie in unserer Sommerserie vor. Heute: der Sprungturm vom Inselbad.

Stuttgart - Oben, auf dem Zehn-Meter-Sprungturm des Inselbads, stehen die Mutigen. Unten, am Beckenrand, entstehen die Mythen. Da sitzen sie herum, die Halbwüchsigen, recken den Hals und erzählen sich wilde Geschichten. Etwa diese, die früher per Mundpropaganda weitergegeben wurde und heute durchs Netz geistert: Bei einem Bauchplatscher aus zehn Metern Höhe kann ein Körper platzen und die Gedärme können hervorquellen.

Arvid Donert, 35, der Chef vom Inselbad in Untertürkheim, grinst. Er kennt die Mythen, die sich um den Sprungturm ranken. „Wer aus zehn Meter Höhe ungeschickt aufs Wasser knallt, kann sich eine Prellung einfangen. Auch ein ausgekugelter Arm ist in besonderen Fällen bei dieser Höhe schon mal drin“, sagt er. Aber mehr könne nicht passieren. Eigentlich.

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Türme in Stuttgart und Region

Das Inselbad, das mit seinen vom Bahnhofsarchitekten Paul Bonatz und dessen Partner Friedrich Eugen Scholer entworfenen Bauten unter Denkmalschutz steht, wurde 2001 gründlich renoviert. Heute ist es eine moderne Bäderlandschaft mit Unterwasserliegen, Strömungsbecken und unverwüstlichen Edelstahlrutschen. Aber die eigentliche Attraktion ist nach wie vor der Zehner – und das, obwohl er oft nur eine halbe Stunde bis eine Stunde am Tag geöffnet ist. Vielleicht gehört auch das zum Reiz der Plattform unweit der Liebeswiese, einem von Pärchen gern besuchten Randbereich.

Dass Arvid Donert in seinen elf Dienstjahren im Inselbad noch kein schlimmes Unglück am Sprungbecken erleben musste, dafür sorgen zwei Kollegen, die bei geöffnetem Zehner darauf achten, dass alles streng nach der Badeordnung läuft. Einer steht oben und passt auf, dass immer nur einer springt. Einer steht am Beckenrand und hat das Wasser im Visier. Wenn der Zehner geöffnet ist, lautet eine eherne Regel, sind alle anderen Anlagen am Sprungbecken tabu, selbst die Einser-Bretter an der Seite.

Die Wasseroberfläche scheint verdammt weit weg zu sein

Ganz ohne ist die Fallhöhe nicht. Wer aus fünf Metern in ein Schwimmbecken springt, taucht mit 36 km/h ein. Bei zehn Metern sind es bereits 50 km/h. Nicht auszumalen, was passiert, wenn man mit so einer Geschwindigkeit einen unter sich schwimmenden Menschen trifft.

Von Weitem besehen wirkt der Sprungturm, eine massige Stahlbetonkonstruktion mit Drei-, Fünf- und Siebeneinhalb- und Zehn-Meter-Plattformen aus den siebziger Jahren, gar nicht so hoch. Das ändert sich, wenn man sich dem Bauwerk nähert. Und erst recht, wenn man die rutschfesten Stufen hochsteigt. Die Edelstahlgeländer sind stabil. Die Treppen wurden im Lauf der Jahre umgebaut. Jetzt sind sie versetzt angeordnet, so dass jemand, der von oben übers Geländer fällt, nicht bis zum Steinboden durchknallt.

Oben angekommen, hat man einen erstklassigen Blick – nicht nur über das größte und älteste Freibad der Stadt. Rechts liegt der Neckar, daneben die Bundesstraße 10, dahinter steigt die Wangener Höhe an. Links ein Seitenarm des Neckars, dem das Bad den Inselcharakter und seinen Namen zu verdanken hat. Hinter Pappeln kann man den Württemberg mit der Grabkapelle nur erahnen.

Unter uns schillert das magische Blau des Beckens. Die Wasseroberfläche scheint verdammt weit weg zu sein, wie weit genau, man kann es nur erahnen. Aus diesem Grund, sagt Donert, sei bei Sprungwettbewerben, die hier inzwischen nicht mehr ausgetragen werden, das Wasser künstlich gekräuselt worden. So hatten die Springer einen Anhaltspunkt.

Das Becken ist am Vormittag fürs Publikum gesperrt. Taucher der Berufsfeuerwehr ziehen ihre Bahnen. Die benutzten das Sprungbecken auch winters gern, erzählt Donert, zu Rettungsübungen unter Eis. Das Wasser wird das ganze Jahr nicht abgelassen, Plastikpolster am Rand verhindern, dass der Eispanzer an der Oberfläche den Beckenrand sprengt. Ließe man das Wasser ab, müsste man damit rechnen, dass das Becken dem Druck des Grundwassers nicht standhält, wie beim Killesbergbad. Mit fünf Meter Wassertiefe ist das Sprungbecken tiefer als der Neckar nebenan, der es in seiner Fahrrinne auf gerade mal gut drei Meter bringt.

Und wie ist das, aus zehn Meter Höhe ins 26 Grad temperierte Wasser zu springen? Halb so wild, sagt Marcel, 14, der schon darauf wartet, dass das Becken am Nachmittag öffnet. Beim ersten Mal, sagt Ben, 13, sei es ganz gut gewesen. Da habe er seine Fußspitzen nach unten durchgedrückt. Beim nächsten Mal hätte er sie gerade gehalten. Das habe ganz schön gefetzt. Die Könige unter den Springern bei den Jungen sind die Spezialisten für Arschbomben. Ein perfekter Sprung ist der, bei dem auch die Leute auf dem Zehner nass werden.

Es ist das Privileg eines Berichterstatters, das nicht ausprobieren zu müssen. Er braucht nicht den kürzesten Weg nach unten wählen. Er darf ohne Gesichtsverlust die Treppen hinuntersteigen, was keine Schande ist. Auch Schwimmmeister Arvid Donert, einst ein Leistungsschwimmer, hat den Sprung noch nie gewagt.

Und wer weiß, vielleicht ist an den Mythen doch was dran.

In unserer Turm-Serie bereits erschienen:

Bismarckturm - Zwischen Heiratsantrag und Zerstörungswut

Ludwigsburg - Vom Bad im Wasserturm ist abzuraten

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