Der Screenshot zeigt die Karte des sprechenden Sprachatlas’ der Universität Tübingen zum Wort Pfütze. Dabei kann man gut erkennen, dass gerade im Raum Stuttgart zwei große Gebiete aufeinandertreffen: Das nördliche „Pfütz“ hat Münster erreicht, das südliche „Lach“ geht hingegen noch bis Plieningen. Foto: Screenshot StZ/StN

Schnee heißt auf Schwäbisch Schnai. Oder Schnäa? Der sprechende Sprachatlas der Universität Tübingen bringt Licht ins Dunkel.

Stuttgart - Ruft man auf der Seite des Sprechenden Sprachatlasses die Karte für das Wort „Pfütze“ auf und klickt auf das kleine Play-Symbol bei Stuttgart-Münster, erklingt ein deutliches „Pfütz“. Im Süden der Stadt hingegen spricht der Plieninger von einer „Lach“.

Dialekt hat viele Facetten. Nicht nur Aussprache und Grammatik können sich von einem Ort zum anderen unterscheiden, auch Begriffe werden mitunter unterschiedlich verwendet, wie das Beispiel „Pfütze“ zeigt.

Diese Vielfalt illustriert der Sprechende Sprachatlas von Baden-Württemberg, Teil des Projekts „Sprachalltag II: Sprachatlas - Digitalisierung - Nachhaltigkeit“ des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Auf derzeit 60 verschiedenen Karten zeigt er Unterschiede in der Aussprache, der Grammatik und bei bestimmten Begriffen des Schwäbischen. Tonaufnahmen verdeutlichen die Beispiele.

Befragungen vor Ort

Für sie ist Hubert Klausmann, der gemeinsam mit Reinhard Johler die wissenschaftliche Leitung des Projekts innehat, weit herumgekommen im Ländle. „Wir haben in 51 Ortschaften Leute befragt“, sagt er. Dafür erstellten die Wissenschaftler einen Fragenkatalog. „Da uns nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, haben wir die Fragen so gehalten, dass sie innerhalb einer Stunde abgearbeitet werden konnten. Schließlich wollten wir möglichst viele Ortschaften erheben“, erklärt Klausmann.

Den Kontakt zu ihren Gesprächspartnern stellten die Forscher über Ortsvorsteher und Bürgermeister her. Der Altersdurchschnitt der Sprecher liegt laut Klausmann bei rund 70 Jahren. „Wir haben zwar auch einige 40- oder 50-jährige Teilnehmer, aber generell wurden doch eher ältere Menschen befragt, einfach, weil sie in der Regel mehr Zeit haben.“

Vor Ort sind Klausmann und sein Kollege Rudolf Bühler mit den Befragten durch deren Wohnungen gegangen, fragten nach den Bezeichnungen für Alltagsgegenstände oder Wetterphänome und versuchten dabei, eine natürliche Gesprächssituation aufzubauen. „Die Hauptschwierigkeit bei einem solchen Projekt besteht darin, einen guten Fragenkatalog zu entwickeln. Sie müssen wissen, welche Phänomene interessant sind und in welchen Wörtern sie stecken“, beschreibt Klausmann. Bestimmte Bereiche, wie beispielsweise Grammatik, seien schwer abzufragen.

Das Schwäbische verdrängt das Alemannische

Die Befragungen für den Sprechenden Sprachatlas sind bereits abgeschlossen. Jetzt müssen die Karten noch erweitert werden, am Ende sollen 100 zur Verfügung stehen, auf denen 51 Ortschaften verzeichnet sind. Die Vorabversion, die bereits online ist, konzentriert sich allein auf den schwäbischen Dialekt, weil sie für die große Landesausstellung „Schwaben“ im Alten Schloss in Stuttgart erstellt worden ist. „Auf der Karte fehlen momentan noch einige fränkische Ortschaften im Norden und alemannische im Südwesten“, sagt Klausmann. Wenn der Atlas Ende des Jahres fertig ist, sei dann aber von Norden bis Süden flächendeckend alles abgedeckt.

Schon jetzt haben die Wissenschaftler neue Erkenntnisse gewonnen. „Im Vergleich zu unseren Forschungsergebnissen von vor 30, 40 Jahren haben wir insbesondere im Süden des Landes sprachliche Veränderungen entdeckt. Das Schwäbische dringt in den Bodenseebereich vor und verdrängt dort das Alemannische“, berichtet Klausmann. Ein Beispiel: Wo früher von „Huus“ gesprochen wurde, verwenden die Menschen heute das schwäbische „Hous“ für „Haus“. „Wenn ein Dialekt ein hohes Prestige hat, kann er sich ausbreiten“, erklärt der 61-Jährige. Schwäbisch sei in Baden-Württemberg positiv besetzt, es werde beispielsweise mit dem wirtschaftlichem Erfolg der schwäbischen Unternehmen in Verbindung gebracht.

Fördermittel von rund 630.000 Euro

Sprache, und damit auch der Dialekt, verändern sich in Raum und Zeit immer“, betont der Forscher. Dazu habe in der jüngeren Vergangenheit unter anderem die zunehmende Mobilität der Menschen beigetragen – am Beispiel Bodensee zeigt sich das etwa durch einen Zuzug schwäbischer Arbeitnehmer in Städte wie Friedrichshafen. So kommt es zu neuen sprachlichen Einflüssen einerseits, während andererseits Worte verschwinden, weil etwa in der Landwirtschaft bestimmte Geräte nicht mehr verwendet werden. Mit ihnen gehen auch ihre mundartlichen Bezeichnungen verloren.

Generell gehe der Gebrauch des Dialekts tendenziell eher zurück, konstatiert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, das das Projekt Sprachatlas/Sprachalltag im Zeitraum von 2015 bis 2020 mit insgesamt rund 630.000 Euro fördert. Denn den regionalen Sprachen „kommt als wichtigem Kulturgut und damit Teil der kulturellen Identität besondere Bedeutung zu“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Tondokumente seien daher wertvolle Zeugnisse des Sprachwandels, die durch Digitalisierung gesichert und damit der Wissenschaft wie der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf der Homepage der Universität Tübingen steht der Atlas kostenlos zur Verfügung.

Ein weiterer Unterstützer ist der Förderverein Schwäbischer Dialekt. „Er unterstützt uns von Anfang an bei unseren Projekten“, sagt Klausmann.

Zwei große Sprachräume im Südwesten

Der Atlas ist aufwendig: „Für den Sprechenden Sprachatlas haben wir wohl bereits 5000 Stunden investiert“, schätzt der Forscher. „Er kann nicht nur im Schulunterricht eingesetzt werden, sondern wird bestimmt auch in der Öffentlichkeit ganz gut ankommen.“

Sprache und Dialekt betreffen schließlich jeden. „Würde man die Leute fragen, würden sie vermutlich sagen, dass es so viele Mundarten wie Ortschaften gibt“, sagt der Wissenschaftler. Tatsächlich jedoch unterscheiden er und seine Kollegen zwei große Sprachräume im Südwesten: das Fränkische und das Schwäbisch-Alemannische. Hinzu kommt noch ein kleinerer Bereich um Mannheim und Heidelberg, der mitteldeutsch geprägt ist.

Dass es innerhalb dieser Sprachräume derart viele regionale Unterschiede gibt, liegt Klausmann zufolge daran, „dass es über Jahrhunderte hinweg viele kleine Territorien gab. Wollte man etwa von Stuttgart nach Mannheim, begab man sich dafür quasi schon ins Ausland.“ Verbindungen zwischen den Territorien in Form von Verkehrsachsen führten zu sprachlichen Neuerungen. Durch natürliche Barrieren, wie beispielsweise den Schwarzwald, entfernten sich die Dialekte aber auch voneinander: Wo es keinen Austausch gab, verlief die sprachliche Entwicklung unterschiedlich. „Oftmals waren Siedlungsgrenzen gleichzeitig Dialektgrenzen“, erklärt Klausmann. Sie macht der Sprechende Sprachatlas nun nicht nur sicht-, sondern auch hörbar.