Scheuklappen aus Leder beruhigen Pferde – bei Menschen sieht es anders aus. Foto: mochisu/Fotolia

Anglizismen und Bürokraten-Deutsch, Mode-Floskeln und aussterbende Begriffe – in unserer Sprach-Glosse hören wir genau hin. Wie die Menschen so reden, was sie sagen, wie sie’s meinen.

Stuttgart - CSU-Chef Horst Seehofer trägt sie angeblich – und die AfD-Führung sowieso. Scheuklappen. Gemeint sind nicht Blendklappen, die am Zaun von Pferden vor den Augen befestigt werden, sondern ideologische Augendeckel. Der Philologe Johann Friedrich August Kinderling (1743-1807) gruppiert das Wort in seinem Buch „Über die Reinigkeit der deutschen Sprache“ (1795) unter die Rubrik „Verzeichnis neuer Wörter der Prosaisten und Dichter des 18. Jahrhunderts“.

„Jemand hat ideologische Scheuklappen“

Verstehen kann man die Aussage „Jemand hat ideologische Scheuklappen“ (Seehofer laut Kritikern in der Flüchtlingspolitik, die AfD aufgrund ihres Anti-Islam-Kurses) erst, wenn man das zugehörige Adjektiv erklärt. Ideologie (griechisch „ideología“) steht für eine Weltanschauung, die zur Rechtfertigung eigner und fremder Handlungen und Überzeugungen verwendet wird. Menschen mit einseitiger, beschränkter Sichtweise wird im übertragenen Sinne vorgehalten, mit Scheuklappen herrumzulaufen.

Scheuklappen als Ausdruck „falschen Bewusstseins“

Bei Paarhufern sind es Lederklappen, bei Zweibeinern Normen und Ansichten, die das Gesichtsfeld einschränken. Scheuklappen verhindern, dass Pferde die Peitsche sehen, darauf reagieren können oder von hinten oder der Seite abgelenkt werden. Ähnlich ist es, wenn Menschen nur einen Teil der Wirklichkeit sehen (wollen) und sich der komplexen Realität bewusst entziehen. Sie stieren nach vorne – was um sie herum geschieht, blenden sie aus. Sie bedienen sich mit Vorliebe inhaltsleerer Redensarten und Totschlagargumenten. Karl Marx (1818-1883) zufolge sind ideologische Scheuklappen Ausdruck für das „falsche Bewusstsein“ einer Gesellschaft. Und damit wären sie nicht nur das Problem von Einzelnen oder einigen wenigen.