In Wettbüros und im Internet kann längst nicht mehr nur auf das Endergebnis einer Partie getippt werden. Foto: dpa

Weil die Länder es nicht schaffen, den Sportwettenmarkt rechtskonform zu regulieren, wächst die Zahl der Anbieter seit Jahren. Und das wiederum führt zu Problemen. Eine Bestandsaufnahme.

Stuttgart - Es ist ein kalter und ruhiger Abend in der Stuttgarter Schlossstraße. Die Kundschaft in den Restaurants und Kneipen hält sich in Grenzen. Auch das Gebäude mit der Nummer 79, dessen Fensterfront mit großformatiger Werbung eines Sportwettenanbieters überklebt ist, hat seit mehr als einer Stunde niemand mehr betreten. Im Inneren durchbricht der aufbrausende Türkisch sprechende Kommentator der Pokalpartie Akhisar Belediyespor gegen Galatasaray Istanbul die Stille. Ein älterer Mann, eher südländischer als skandinavischer Herkunft, sitzt auf einem Ledersessel an einem der Holztische, schweigt und zieht nervös an seiner Zigarette. Abwechselnd schaut er auf sein Smartphone und auf den Flachbildschirm, auf dem die Nachspielzeit der ersten Halbzeit läuft. Es steht 1:1.

Hinter der Theke, an der die Tipps noch persönlich abgegeben werden können, sitzen zwei Damen. Wegen mangelnder Kundschaft beschäftigen sie sich mit sich selbst. Am Wochenende, wenn die Fußball-Bundesliga in die Rückrunde startet und in allen anderen europäischen Ligen wieder der Ball rollt, dürften sie wieder stärker gefordert sein. Dann werden im Wettbüro im Stuttgarter Westen wieder cliquenweise junge Männer sitzen und versuchen, ihre vermeintliche Fußball-Expertise zu Geld zu machen.

In Stuttgart gibt 60 Wettbüros, in Baden-Württemberg 649

Aber nicht nur dort. In Stuttgart gibt es nach Angaben des Ordnungsamts 60 Wettbüros, landesweit sind dem Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe zufolge 649 Betriebsstätten von Sportwetten erfasst. Das im RP Karlsruhe angesiedelte Referat Lotterie- und Glücksspielrecht überwacht das Wettgeschäft in ganz Baden-Württemberg. Doch angesichts der aktuellen Rechtslage ist das gar nicht so einfach. Erlaubt ist derzeit eigentlich nur das Sportwettenangebot der Lottogesellschaft des Landes.

Aber der Reihe nach: Im November 2010 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg das staatliche Monopol bei Sportwetten gekippt. Die Länder einigten sich auf den Glücksspieländerungsstaatsvertrag – eine neue gesetzliche Grundlage, wonach 20 private Anbieter probeweise bis Ende Juni 2019 eine bundesweite Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten erhalten sollten. Die Zahl 20 war ein Kompromiss der Ministerpräsidenten. Das hessische Innenministerium wurde beauftragt, die im Glücksspieländerungsstaatsvertrag verankerte Regelung umzusetzen.

Knapp 40 Bewerber auf 20 Konzessionen

Knapp 40 Wettunternehmen erfüllten die qualitativen Anforderungen für eine Erlaubnis. Weil das viel zu viele waren, wählte das sogenannte Glücksspielkollegium mit Vertretern aus allen Bundesländern im September 2014 die 20 potenziellen Konzessionsnehmer aus dem Bewerberkreis aus. Mehrere der nicht berücksichtigten Anbieter klagten gegen das Verfahren. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden gab ihnen recht. Es stufte das Kollegium als verfassungswidrig ein und stoppte die Konzessionsvergabe.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) bestätigte diesen Beschluss im Oktober des vergangenen Jahres – und offenbarte damit ein beispielloses Staatsversagen. Dass ein Glücksspielkollegium über die Vergabe von Konzessionen entscheide, widerspreche dem Grundgesetz. Das Handeln des Gremiums könne weder dem Bund noch den Ländern zugerechnet werden, und damit fehle ihm eine ausreichende demokratische Legitimation, urteilten die Richter in Kassel. Außerdem seien die Kriterien, wer eine Konzession bekomme, nicht transparent gewesen. Das Urteil des VGH ist unanfechtbar. In anderen Gerichtsverfahren müssen der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) darüber hinaus noch klären, ob Teile des Glücksspieländerungsstaatsvertrags mit dem Recht der Europäischen Union kollidieren.

Umsatz der Wettanbieter wächst immer weiter

In dem rechtlichen Wirrwarr wachsen der Markt und dessen Umsatz immer weiter. Im vergangenen Jahr haben die steuerzahlenden Wettunternehmen rund 4,8 Milliarden Euro eingenommen. Branchenkenner gehen sogar davon aus, dass einige Marktteilnehmer mit Sitz im Ausland keine Steuern an den deutschen Fiskus abführen und der Gesamteinsatz in Deutschland bei bis zu sieben Milliarden Euro liegt. Rund 130 private Anbieter gibt es den Angaben des hessischen Innenministeriums zufolge mittlerweile. Sie alle bewegen sich in einem rechtlichen Vakuum, einer Grauzone. Die erschwert auch den Aufsichtsbehörden die Arbeit. „Wir befinden uns alle – Anbieter, Vermittler und Aufsichtsbehörden – in einer Warteschleife. Weil das bundesweite Konzessionsverfahren gerichtlich gestoppt wurde und das Ergebnis abzuwarten ist, können die Kollegen im Vollzug im terrestrischen Bereich der Sportwetten momentan nicht sehr viel tun“, sagt der fürs Glücksspiel zuständige Referatsleiter Matthias Leitold vom RP Karlsruhe. Allenfalls Verstöße gegen das sonstige Glücksspielrecht, etwa bei Sportwettvermittlungen in einer Gaststätte oder wenn Alkohol ausgeschenkt wird, könne man ahnden.

Gegen dubiose, unseriöse Anbieter, deren Zahl vor allem im Internet wächst, gehen die Aufsichtsbehörden indes nicht vor – dafür fehlt ihnen die rechtliche Grundlage. Ohne die kann nämlich nicht unterschieden werden zwischen jenen Unternehmen, die hierzulande eine Konzession anstreben und sich dafür auch allen erforderlichen Kriterien unterwerfen würden, und den anderen, die gar nicht regulierungswillig sind.

Sportwettenverband stuft derzeitige Situation als „großes Problem“ ein

Es ist eine Situation, die auch der Präsident des 2014 gegründeten Deutschen Sportwettenverbands (DSWV), Mathias Dahms, als „großes Problem“ einstuft. Seiner Ansicht nach führt der nichtregulierte Zustand des Markts nur dazu, dass sich „der Schwarzmarkt ausbreiten“ könne: „Da haben sich die Länder ein Eigentor geschossen.“ Der Cheflobbyist und Unternehmer aus Berlin, der seit knapp 20 Jahren in der Branche tätig ist, fordert im Gespräch mit unserer Zeitung eine rasche Lösung für eine rechtskonforme Konzessionsvergabe. „Wir sehen den Bedarf einer komplett neuen gesetzlichen Regelung“, sagt Dahms. Eine, die den 16 DSWV-Mitgliedern und den anderen regulierungswilligen Anbietern Rechts- und Investitionssicherheit gibt.

Aus Sicht des Sportwettenchefs liegt die Ursache für die bisherigen gescheiterten Regulierungsversuche in einem Interessenkonflikt der Länder. „Auf der einen Seite sind die Länder für die Glücksspielregelung zuständig, auf der anderen haben sie mit ihren Lotto-Gesellschaften als Marktteilnehmer wirtschaftliche Eigeninteressen. Dementsprechend wurden die Regulierungen immer nur restriktiv ausgelegt“, sagt er. Was wiederum zu dem Dilemma führe, in dem der Markt in Deutschland nun stecke.

Regulierung in die Hände des Bunds?

Der Vorschlag, dass die Regulierung in die Hände des Bunds gelegt werden könnte – wie das bereits bei den Pferdewetten der Fall ist –, gilt in der Branche als kaum zu realisieren. Auch Dahms vermutet: „Die Länder werden die Regulierungskompetenz nicht abgeben.“

Das bisher einzige funktionierende System hat Schleswig-Holstein. Das Land hat eigenmächtig 25 Konzessionen für Sportwetten und 23 Konzessionen für Online-Kasino und Online-Poker vergeben. Diese laufen noch bis 2018 – sind allerdings auch nur in Schleswig-Holstein gültig. Für eine bundesweit verbindliche Lösung müssen die anderen Länder jetzt gemeinsam nachbessern. Wieder mal. Wieder dürfte es jedoch einige Jahre dauern, bis sie ein neues Gesetz entwickelt haben. Denn diesmal sollte es wirklich eines sein, das nicht nur den Kontrollen und Anforderungen in den Bereichen Spielerschutz, Jugendschutz, Suchtprävention genügt. Es sollte zudem dem freizügigen Unionsrecht gerecht werden.

Live-Wetten sind reizvoll – aber mit Blick auf das Suchtpotenzial auch riskant

Auch die Beratungs- und Behandlungsstellen für Glücksspielsüchtige hoffen auf Besserung. Denn mit der zunehmenden Zahl an Anbietern und Angeboten, vor allem im Internet, droht auch die Zahl derer, die am Smartphone ihr Geld verwetten, immer weiter zu steigen. „In der Rangliste der gefährlichsten Glücksspielformen steht die Sportwette hinter dem Spielautomat und Online-Poker an dritter Stelle“, sagt Sascha Lutz, Bereichsleiter des Beratungs- und Behandlungszentrums für Suchterkrankungen bei der Evangelischen Gesellschaft (eva) in Stuttgart.

Insbesondere Live-Wetten beim Fußball sind extrem kurzweilig und vielfältig: Welcher Spieler erzielt das nächste Tor? Welches Team holt den nächsten Eckball heraus? Und wie viele Tore fallen in der Schlussphase des Spiels? Das macht das Wetten für den Kunden attraktiv, aber eben auch gefährlich. Denn grundsätzlich gilt: Je schneller man eine Belohnung hat oder eben nicht, desto höher ist die Suchtgefahr. Die Erfahrung zeige, dass vor allem junge Männer anfällig für Sportwetten seien, sagt Lutz: „Oft sind es Personen vom Fach – Sportstudenten oder welche, die selbst sehr gut Fußball spielen können und meinen, die Ligen und deren Vereine sehr gut zu kennen.“ Doch immer wieder verlieren sie nicht nur eine Wette, sondern die Kontrolle über sich. Und das nutzt nur einem: dem Wettanbieter.