Frühgymnastik ist ein kleines bisschen wie Tai Chi in Hanoi, Foto: Kathrin Wesely

Bei „Sport im Park“ wird in diesem Jahr an ein paar neuen Orten gesportelt – am Leipziger Platz etwa. In Kooperation mit dem Sportkreis Stuttgart, Sportvereinen und Studios bietet die Stadt dieses Programm seit 2010 immer von Mai bis September an.

S-West - Ihr dürft euch ruhig ein bisschen in den Schmerz hineinarbeiten.“ Matthieu Rogez hat eine sanfte Stimme und meint es gut. An diesem Morgen haben sich ihm elf Frauen und drei Männer angeschlossen, um am Leipziger Platz Gymnastik zu treiben. Die meisten von ihnen sind Ruheständler und wohnen in der Nachbarschaft. Rogez beginnt die Stunde mit ausholenden Armbewegungen, die mit der Atmung in Einklang gebracht werden sollen. Von Weitem wirkt die Szenerie, als würde ein Dirigent mitten auf der grünen Wiese ein Dutzend Leute anleiten. „Wir machen was für Rumpfstabilität, Koordination und Gleichgewicht“, erläutert der Sporttherapeut, Sport- und Gymnastiklehrer. Besonderer Vorbildung bedürfe es nicht: „Jeder kann mitmachen, egal, wie fit er ist.“

Gemeinschaft und fachkundige Leitung sorgen für Ansporn

Gerhard Kronmüller hat sich von seiner Frau überzeugen lassen, dass Frühsport erstens nicht schlimm ist und zweitens gut tut. „Ich habe die Vorreiterin gemacht, ich war letzte Woche schon mal da“, sagt Angelika Kronmüller. Die beiden Ruheständler haben das Glück, dass der Kurs von Matthieu Rogez quasi unter ihrem Fenster stattfindet, ihre Wohnung grenzt direkt an die Grünanlage. Ihr Mann meint, dass er sich alleine nicht dazu durchringen könnte, Gymnastik zu machen. „In der Gemeinschaft und unter fachkundiger Leitung ist das was ganz anderes, da hat man viel mehr Ansporn. Mir gefällt es auch, dass ein paar Nachbarn da sind, die ich bloß vom Sehen kenne“, sagt Gerhard Kronmüller.

Manchmal finden durch Sport im Park tatsächlich Leute zusammen. „Bei einer der Tanzgruppen hat sich inzwischen eine Gruppe gebildet, die abends zusammen ausgeht“, erzählt Andi Mündörfer vom Amt für Sport und Bewegung. Der Sportwissenschaftler ist Mitorganisator von „Sport im Park“. An 34 Freiluftstätten in der ganzen Stadt finden bis in die letzte Septemberwoche hinein unterschiedlichste Kurse statt. In diesem Jahr sind acht neue Standorte hinzugekommen – darunter die lauschige Grünanlage am Leipziger Platz. Der neue Ort hat sich rasch herumgesprochen: „Bisher sind jedes mal mehr Leute gekommen“, sagt Sportlehrer Rogez. „Am Anfang waren es vier, heute sind wir bei 14“. Der Rekordstandort ist das Tal der Rosen im Höhenpark Killesberg, wo sonntags um 10 Uhr Functional Fitness und montags um 18 Uhr Yoga stattfindet. „Am Sonntag kamen fast 100 Leute“, berichtet Andi Mündörfer, der sich regelmäßig informiert.

Wie im Vietnam-Urlaub

„Sport im Park“ ist eine Erfolgsgeschichte, die immer mehr Menschen mobilisiert. Im vergangenen Jahr sportelten 10 000 Stuttgarter mit. In Kooperation mit dem Sportkreis Stuttgart, Sportvereinen und -studios bietet die Stadt seit 2010 immer von Mai bis September das abwechslungsreiche und kostenlose Mitmachprogramm unter fachlicher Anleitung an. Reizvoll ist daran auch, dass grüne, öffentliche Orte auf eine neue Weise in Beschlag genommen werden. „Mich erinnert das an unseren Vietnam-Urlaub“, sagt Gerhard Kronmüller. „In Hanoi haben sich morgens um fünf Hunderte von Leuten getroffen und haben auf einem Parkplatz Tai Chi gemacht. Manche hatten Anzug und Krawatte an und sind danach ins Geschäft gegangen.“ Die Kronmüllers brauchen nach den Knie- und Rumpfbeugen, Wirbelsäulenrotationen und Tauziehübungen nicht zur Arbeit gehen. „Wir richten uns jetzt daheim ein zweites Frühstück.“