Erdogan-Anhänger bejubeln den türkischen Präsidenten bei einer Veranstaltung in Köln. Möglicherweise tritt Erdogan in Kürze persönlich in Nordrhein-Westfalen auf. Foto: dpa

Noch gibt es keine konkreten Reisepläne des türkischen Präsidenten, aber parteiübergreifend schalten Politiker die Ampel schon mal auf Rot. Eine Werbetour in Deutschland komme nicht in Frage.

Berlin - Bisher ist es nur eine Spekulation, aber gleichwohl ist die Empörung bereits groß. Nicht nur die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen fürchtet mittlerweile, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April in Deutschland auftreten und bei den hierzulande lebenden Türken für die Änderungen werben könnte, die Kritiker als Einschränkung wichtiger demokratischer Grundrechte brandmarken. Denn Ministerpräsident Binali Yildirim hatte auf seinem jüngsten Deutschlandtrip am Sonntag wissen lassen, Erdogan beabsichtige, demnächst „zu den türkischen Bürgern in Europa zu sprechen.“ Konkreter wurde Yildirim zwar nicht, aber der Verdacht liegt nahe, dass Erdogan bei etwaigen Reiseplanungen Deutschland im Visier hat. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) und andere riefen die Bundesregierung deshalb dazu auf, einen Besuch Erdogans zu unterbinden.

Sicherlich sehr zum Unwillen der Bundesregierung, die sich ohnehin schwer tut, angesichts eigener Interessen nicht nur in der Flüchtlingsfrage einen angemessenen Umgang mit Erdogan und dessen autoritärer Neigung zu finden. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, nannte die Forderung eines Auftrittsverbots „unsinnig“, weil sie ohne konkreten Hintergrund erhoben werde. Berichte über einen bevorstehenden Besuch siedelte Schäfer „im Bereich der Hypothese, des Konjunktivs, vielleicht sogar der Fiktion“ an. Es gebe „keinerlei konkrete Anzeichen dafür, dass der türkische Staatspräsident beabsichtigen würde, bis zum Verfassungsreferendum Deutschland einen Besuch abzustatten“, so der Sprecher. Sollte Erdogan ohne Wissen der Bundesregierung einen Besuch planen, wäre dies ein Verstoß gegen „diplomatische Gepflogenheiten“. Diese würden vorsehen, dass eine solche Reise „uns mit hinreichendem Zeitvorlauf mitgeteilt wird.“

„Das Referendum ist illegitim“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, erkennt sehr wohl einen begründeten Anlass zur Sorge. „Berichte über Pläne Erdogans, nach Deutschland reisen zu wollen, sind meiner Ansicht nach nicht aus der Luft gegriffen, weil die türkische Gemeinde in Deutschland von eben solchen Erwägungen zwischen dem 27. März und dem 9. April berichtet hat“, sagte Hardt unserer Zeitung. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht, Position zu beziehen: „Sollte sich die Besuchsabsicht Erdogans konkretisieren, muss es die klare politische Ansage der Bundesregierung geben, dass eine Werbetour Erdogans für dieses Referendum in Deutschland nicht erwünscht ist.“ Dieses Referendum sei „illegitim“, denn „die Demokratie darf nicht mit Mehrheit die Abschaffung wesentlicher Elemente der Demokratie beschließen.“

Hardt geht davon aus, dass die Bundesregierung demnächst zusätzliche internationale Argumentationshilfe erhält. Die Venedig-Kommission des Europarates prüfe derzeit, ob das, was in der Türkei zur Abstimmung steht, „mit der Menschenrechtscharta des Europarats, in dem die Türkei Mitglied ist, vereinbar ist.“ Der Bericht werde am 10. März erwartet. Sollte die Kommission zu dem Schluss kommen, dass dieses Referendum „nicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar ist, würde das der Bundesregierung die Ablehnung eines solchen Besuchs natürlich erleichtern“, so Hardt.

Verbot nach Versammlungsrecht

Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, schließt nicht aus, dass ein Auftritt Erdogans von den örtlichen Behörden nach dem Versammlungsrecht verboten werden kann. „Werbung für Todesstrafe und Parlamentsentmachtung haben in Deutschland nichts verloren“, sagte Fechner unserer Zeitung. Eine Versammlung könne „gerichtlich verboten werden, wenn darin offensiv und in einschüchternder Weise für die Todesstrafe geworben werden soll.“ Die örtliche Polizei müsse, so Fechner weiter, im konkreten Fall prüfen, ob sich „hier eine gerichtsfeste Prognose erstellen lässt.“ Aussichtsreicher sei das Durchsetzen eines Verbotes allerdings, „wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch drohende Krawalle nachgewiesen werden kann“, so der Rechtspolitiker. „Angesichts der Tatsache, dass Erdogans Reden das Klima vor allem zwischen Türken und Kurden vergiften, ist diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen“, sagte Fechner.

Die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sieht den Bund in der Pflicht und verweist auf einen Richterspruch des Oberverwaltungsgerichts Münster, mit dem eine Videoschalte Erdogans zu einer Großveranstaltung seiner Anhänger in Köln im Jahr 2016 verboten wurde. In dem Urteil heißt es, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gewähre Veranstaltern keinesfalls „einen Anspruch darauf, ausländischen Staatsoberhäuptern“ die Gelegenheit zu geben, in Deutschland „im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen“ in offizieller Mission „zu politischen Themen zu sprechen“. Das Gericht stellte klar, dass im Fall der Fälle letztlich die Bundesregierung in der Pflicht stehe, Position zu beziehen. Es sei „Sache des Bundes zu entscheiden“, ob sich „ausländische Staatsoberhäupter“ in Deutschland „im öffentlichen Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen.“ Anders verhält es sich allerdings, sollte Erdogan vorgeben, als Privatmann anzureisen. Dann dürfte ein Verbot deutlich schwerer durchzusetzen sein.