Martin Weingardt sprach beim Speaker’s Corner über die offene Bürgerschule. Foto: Petra Mostbacher-Dix

Bei der achten Auflage der Speaker’s Corner ging es um die Zukunft der Bildung. Wie die aussehen könnte, darüber wurde heftig gestritten.

Stuttgart-Süd - Das Lob groß. „Was Sie machen, begann vor 2500 Jahren in Griechenland: die Geburt der Demokratie“, erklärte Martin Weingardt, Schulpädagogikleiter an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, bevor er bei der Speaker’s Corner zu sprechen begann. Diese findet alle zwei Wochen samstags auf dem Marienplatz statt. Anders als im Londoner Hyde Park, wo seit 147 Jahren bei der Speaker’s Corner jeder über noch so skurrile Anliegen sprechen darf, so lange er weder die Queen noch die guten Sitten verletzt, geben im Stuttgarter Süden die Veranstalter ein Thema vor.

Das ist die Initiative „Unsere Zukunft“, die der Wirtschaftsingenieur Steffen Schuldis mit Sophia Eißler und Malcolm Schmidt betreibt. Unterstützt wird das Trio von Ehrenamtlichen im Netzwerk „Bei der Speaker’s Corner und über das Netzwerk wollen wir den politischen Diskurs beleben, zu mehr Engagement inspirieren“, sagte Schuldis. Er gründete die Initiative, nachdem Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat und die AfD in den Landtag gekommen ist. „Da wurde mir klar, nicht nur meckern, sondern tun, Verantwortung übernehmen; jeder einzelne Bürger macht die Demokratie aus.“ Daher kandidiert er nun parteilos für die Bundestagswahl.

Es geht um Denkanstöße

Die Speaker’s Corner ist unmissionarisch gedacht; es geht um Denkanstöße. So halten drei Rednerinnen und Redner je einen zehnminütigen Vortrag, über den dann diskutiert wird. Und bei der achten Speaker’s Corner ging es um die Zukunft der Bildung. Weingardt stellte – auf einem Teppich stehend – knapp 50 Interessierten sein Konzept der Offenen Bürgerschule vor, ein Netzwerkprojekt, dem sich im Jahr 2010 schon einige Schulen aller Formen sowie Träger angeschlossen haben. „Das Netzwerk wächst stetig“, sagte Weingardt.

Als Problem konstatierte er, dass Schulen oft vom Leben entfernt seien und Lernen auf Halde betrieben. „Viele wissen nicht mehr, warum sie was lernen. Gerade die besten Abiturienten sagen, dass sie 90 Prozent des Gelernten nicht mehr brauchen.“ Um Schüler zu motivieren, „dem Leben das Lernen zurückzugeben“ und das „Lernen zu vitalisieren“, hat die Offene Bürgerschule fünf Eckpunkte aufgestellt, die auch die Kompetenzen der Bürger einbezieht. So findet etwa 20 Prozent des Lernens an außerschulischen Orten statt, weitere 20 Prozent richten sich am Individuellen der Schüler aus, weitere 20 Prozent am Differenten wie Behinderungen, Benachteiligungen.

Mehr Lehrer und besser ausgestattete Schulen

Dieser menschliche, bereichsübergreifende Ansatz gefiel. „Schule muss Leben sein“, sagte eine Zuhörerin. Dem stimmte auch Annemarie Raab zu. Sie ist die Kreisvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Stuttgart. Sie hatte zuvor die Gemeinschaftsschulen propagiert. „Dort lernen Kinder aller Schichten gemeinsam; jedes von ihnen hat die Chance, seinen eigenen Bildungsabschluss zu finden. Nicht alle müssen Abitur machen.“ Dafür müsse sich das Ansehen von Berufen ändern. Gesehen werden müsse, dass eine Altenpflegerin eine genauso wichtige Arbeit mache wie ein Professor. „Weg vom Ständedenken! Bildung meint doch, dass alle ihren Platz finden, gewillt sind, Verantwortung zu übernehmen, um die Gesellschaft zu gestalten.“ Dafür brauche es mehr Lehrer und besser ausgestattete Schulen. Paradox sei, dass man mit 17 schon Abitur mache, aber noch nicht wählen dürfe.

Vor ihr hatte Vera Rößiger vom Landesjugendring über die U18-Jugendwahl gesprochen. Am 15. September können alle Jugendlichen unter 18 Jahren ihre Stimme zur Bundestagswahl abgeben, die neun Tage später stattfindet. „Jeder kann ein U18-Wahllokal organisieren und muss es auf www.u18.org anmelden“, sagte Rößiger. Das Projekt soll Jugendliche anregen, sich mit Politik auseinanderzusetzen. „Neben politischer Bildung wollen wir, dass Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren eine politische Stimme bekommen und wählen gehen dürfen.“ Dass diese nicht radikal wählten, wie Politiker argumentierten, zeigten die bisherigen Ergebnisse. In Österreich habe man mit dem Wahlrecht ab 16 beste Erfahrungen gemacht. „Das Interesse der Jugendlichen an Politik stieg. Wer eine Lehre macht, Steuern und Sozialabgaben zahlt, sollte mitbestimmen können, was mit seinem Geld passiert.