Ute Vogt (rechts) hört neben Manuela Schwesig (Mitte) und Andrea Nahles der Rede des SPD-Parteivorsitzenden zum Wahlergebnis der Genossen zu. Foto: AFP

Der Stuttgarter Kreisverband der Genossen warnt nach der Niederlage bei der Bundestagswahl vor personellen Konsequenzen.

Stuttgart - Kann es noch schlimmer kommen? Noch höhere Verluste, noch weniger Einfluss, noch ein Schritt weiter hin zur Marginalisierung? Die Sozialdemokraten in der Landeshauptstadt sind leidgeprüft und streiterprobt. Man denke nur an Stuttgart 21 oder den polternden Abgang der einstigen SPD-Größe Ulrich Maurer zum Linken-Vorgänger WASG.

Das Abschneiden bei der Bundestagswahl markiert einen Tiefpunkt, von dem die Genossen glaubten, ihn schon bei der Landtagswahl 2016 durchmessen zu haben. Die Konstellation als Juniorpartner war ähnlich, man erreichte damals stadtweit 11,9 Prozent. Nun sind es 15,7. Es ist kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar.

Vor zwölf Jahren noch bei 33 Prozent

„Es ist ein Desaster für uns“, sagt Ulrich Henke. Der 73-jährige vormalige Landesgeschäftsführer und heutige Schatzmeister des SPD-Kreisverbandes kann das Zweitstimmen-Ergebnis kaum fassen. Und er findet wie weitere Vorstandsmitglieder und Beisitzer keine Erklärung dafür. Man habe sich mit jungen Mitgliedern neuen Wahlkampfformen geöffnet, weise einen Mitgliederzuwachs vor – und man habe geackert. „Meine Gemütsalge muss ich Ihnen nicht schildern“, sagt Henke. Er nennt stattdessen eine Zahl: „Als ich vor zwölf Jahren als Landesgeschäftsführer abgetreten bin, hatten wir 33 Prozent bei der Landtagswahl. Ute Vogt hatte da eben acht Prozent zugelegt.“

Ute Vogt hat ihr Bundestagsmandat dank einer guten Platzierung auf der Landesliste behalten. „Mein Ergebnis von 12,8 Prozent ist traurig“, räumt sie am Montag ein. Bei den Zweitstimmen wurde sie noch von der FDP überholt, von den Grünen und der CDU sowieso. „Es ist zu früh zu sagen, wir machen dieses oder jenes“, sagt die gelernte Rechtsanwältin. Sie klingt ratlos.

Nur zwei Jahre bis zur Kommunalwahl

„Wir haben alle Zeit der Welt, um in uns zu gehen“, sagt Vogt. Tatsächlich? In zwei Jahren steht die Kommunalwahl an. Bei der jüngsten fielen die Genossen von rund 17 auf 14,9 Prozent und verloren einen Sitz. Sie stellen nur noch neun von 60 Stadträten. Mit Andrea Nahles als Fraktionschefin gebe man ein deutliches Signal für einen Neuanfang, meint Vogt. Martin Schulz als Parteivorsitzender stehe für eine „tabulose Aufarbeitung, die wird sich von der bisherigen rituellen unterscheiden“, glaubt die Abgeordnete. Schulz hatte am Sonntag keine Zeit verloren. Als gegen 16 Uhr neue Umfragewerte bekannt wurden, zog er die Konsequenzen: Opposition!

Für den Stuttgarter Kreisvorsitzenden Dejan Perc die einzig richtige Entscheidung. „Das Dümmste, was die SPD jetzt noch machen könnte, wäre eine Regierungsbeteiligung“, sagt Perc: „Dann müssten wir mit einer Austrittswelle rechnen.“ Die SPD sei für die große Koalition abgestraft worden, die CDU in Stuttgart mit minus 9,3 Prozentpunkten sogar noch mehr, „darüber wird aber kaum gesprochen“, schießt der Mann, der den Kreisverband seit 2011 führt, eine Breitseite ab. Eine Personaldebatte will Perc, der am Abend mit dem Vorstand im Cannstatter Kursaal beriet, nicht führen. „Ich wüsste nicht, wie uns die weiterbringen sollte", sagt der Kommunikationswissenschaftler. Er will sich auf die Suche nach der Sinnfrage machen und das Verliererimage abstreifen.

AfD bestetzt Hochburgen der SPD

Die Genossen hätten in ihren früheren Hochburgen schlecht abgeschnitten, die nun wie Mühlhausen oder Wangen Hochburgen der AfD seien. „Das muss uns bedenklich stimmen, wir müssen uns fragen, ob wir die richtige Zielgruppe im Auge haben und ob wir sie richtig ansprechen“, sagt Perc. Schon 2009 kamen die Statistiker in der Stadtverwaltung zu der Erkenntnis, dass die Genossen „insbesondere bei Facharbeitern eine niedrige Resonanz“ hätten.

An den bisherigen Zielsetzungen will Udo Lutz, freigestellter Betriebsrat bei Bosch und Mitglied im SPD-Landesvorstand, nicht rütteln. Bildung und bezahlbares Wohnen seien Kernthemen. „Wir wollen als Garant für Gerechtigkeit wahrgenommen werden“, sagt der 56-Jährige.

Zustimmung zur Denkzettel-These

„Viele wollten der Regierung einfach einen Denkzettel verpassen“, sagt Martin Körner, der Fraktionschef der Genossen im Rathaus. Er kämpft für die SPD um Beachtung, und darum, dass die Fraktion bei den Haushaltsplanberatungen nicht wie vor zwei Jahren von einem Bündnis aus Christdemokraten, Grünen und dem Oberbürgermeister links liegen gelassen wird. „Viele aus meinem Bekanntenkreis haben mir vor der Wahl gesagt, dass sie keine große Koalition mehr wollen“, neigt Ulrich Henke zur Denkzettel-These. Bei der trübsinnigen Wahlparty im El Greco schob der Schatzmeister nicht nur Frust. „Ich habe in den vergangenen 15 Jahren bei keiner Wahlparty so viele junge Leute gesehen. Das war schön und bitter zugleich“, sinniert Henke. „Mein Eindruck ist, dass die dabei bleiben. Das gibt mir Hoffnung.“