Hier geht’s lang: SPD-Chef Martin Schulz überlässt nach der Wahlniederlage Andrea Nahles den Fraktionssitz und verschafft sich auf diese Weise zumindest Zeit. Foto: dpa

Die SPD ordnet ihre Führung neu, bisher erstaunlich geräuschlos. Der Blick in den Abgrund scheint die Genossen zu disziplinieren. Und außerdem wird ja bald schon wieder gewählt – in Niedersachsen.

Berlin - Die SPD hat zwar mit 20,5 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren, aber vielleicht ist es ja gerade der Blick in den Abgrund, der die Partei nun zu erstaunlicher Disziplin zwingt. Jedenfalls haben die Genossen einen Tag nach der Klatsche die zentralen Führungsfragen vorerst geklärt und fahren im Vergleich zu anderen Parteien in vergleichsweise ruhigem Gewässer. Martin Schulz hat das Ticket für die Weiterfahrt als Parteivorsitzender gelöst, indem er Andrea Nahles zur Fraktionschefin vorgeschlagen hat. Ihm wurde unterstellt, selbst das Amt anzustreben. Schulz dementierte dies zwar heftig. Er habe „nie darüber nachgedacht, Vorsitzender der Bundestagsfraktion zu werden“, sagte Schulz . Aber in den Lagern von Nahles und Olaf Scholz hatte man andere Signale vernommen. Der Deal, einen Teil der Macht an eine ambitionierte und in der Partei geachtete Frau wie Nahles abzugeben, hat jedenfalls, da ist man sich in der Partei einig, maßgeblichen Anteil daran, dass Schulz den Wahlabend überstehen konnte. Nahles soll am Mittwoch gewählt werden. Noch zieren sich die konservativen Seeheimer in der Fraktion etwas, aber der ihnen nahe stehende Schulz dürfte noch über ausreichend Autorität verfügen, etwaige Kritiker wie den Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs auf Kurs zu bringen.

Schulz stieß in Vorstand und Präsidium dem Vernehmen nach auf keinen nennenswerten Widerspruch, als er seine Vorstellungen für das weitere Vorgehen unterbreitete. Auf große Zustimmung stieß sein Versprechen, sich in Sachen große Koalition kein Hintertürchen offen zu halten. Und auch die Zusage, sich Zeit zu nehmen, um die Ursachen der Niederlage aufzuarbeiten und eine Verjüngung des Spitzenpersonals durchzusetzen, fand Anklang. Präsidiumsmitglied Ute Vogt sagte dieser Zeitung: „Es ist die richtige Entscheidung, den Auftrag für die Opposition anzunehmen und es wird mehr als zwei oder drei Gremiensitzungen brauchen, dieses Ergebnis aufzuarbeiten.“ Die SPD müsse wieder „näher an die Lebenswelt der Menschen herankommen“, betonte Vogt.

Die SPD geht in Klausur

Schulz sagte auf einer Pressekonferenz den SPD-Mitgliedern zu, „nicht einfach zur Tagesordnung“ überzugehen. Bis zum Parteitag im Dezember, auf dem die gesamte Führungsspitze neu gewählt wird, soll es „mehrere Klausursitzungen“ der Führungsgremien und acht Regionalkonferenzen geben, auf denen mit Mitgliedern und Interessierten über die künftige Ausrichtung diskutiert werden soll. Man dürfe, so Schulz, „die Fehler, die 2009 und 2013 gemacht wurden, nicht wiederholen“.

An die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel gewandt, die ja noch einmal mit ihm in Sachen Koalition reden wollte, sagte er, sie solle „besser jemanden anders anrufen“. Es sei völlig klar: „Die SPD wird in keine große Koalition eintreten.“ Schulz vermied es zwar, über Neuwahlen zu spekulieren, die im Falle des Scheiterns von Jamaika dann die zwangsläufige Folge wären. Aber in der SPD wird auch dieses Szenario nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Für Irritationen sorgte Schulz, weil er bei seinen Statements betonte, dass die SPD „organisatorisch, programmatisch und personell gut aufgestellt“ sei. Er frage sich, weshalb man dann verloren habe, frotzelte ein Vorstandsmitglied. Manche in der Parteispitze fanden auch seinen rustikalen Auftritt in der sogenannten Elefantenrunde „peinlich“. Aber alles in allem hat Schulz mit seinen Entscheidungen immerhin Zeit gewonnen. Er bleibt Vorsitzender auf Bewährung. Den Nachweis, dass er bereit sei, tiefgreifende organisatorische und inhaltliche Reformen zuzulassen, müsse er aber erst noch erbringen, sagen jene, die auf eine umfassende Erneuerung drängen.

Der Niedersachse Weil drängte auf ein Nein zur Groko

Schulz profitiert auch davon, dass die Niedersachsen auf ein geordnetes, ruhiges Verfahren drängen. Stephan Weil versucht dort, bei der Wahl am 15. Oktober Ministerpräsident zu bleiben. Weil zählte intern auch zu jenen, die am vehementesten das Ende der großen Koalition gefordert hatten. Unklar bleibt aber, ob Schulz nach einer möglichen Wahlniederlage in Niedersachsen nicht doch noch infrage gestellt wird. Schulz hat angekündigt, im Dezember auf jeden Fall wieder als Vorsitzender kandidieren zu wollen.

Klar ist, dass die Jüngeren in der Partei Schulz beim Wort nehmen werden. Sie stellen Ansprüche. „Meine Generation muss und wird jetzt mehr Verantwortung einfordern, es ist Zeit für neue Gesichter“, sagte der für Führungsaufgaben hoch gehandelte Vorsitzende der niedersächsischen Landesgruppe, Lars Klingbeil, dieser Zeitung. Der 39-Jährige konnte gegen den Trend seinen tiefschwarzen Wahlkreis erobern. Er zählt zu jenen, die eine „grundlegende Debatte“ fordern, weil er sich „Sorgen um die Zukunft der SPD“ mache. Man müsse, so Klingbeil, deshalb auch „schleunigst die vielen neuen Mitglieder fragen, wie sie sich einbringen wollen und können“.