Leni Breymaier überreicht Martin Schulz einen „Schulz-Zug“ aus dem Hause Märklin. Foto: dpa

Kanzlerkandidat Martin Schulz reißt die SPD auch in Schwäbisch Gmünd zu Begeisterungsstürmen hin. Nichts trübt die gute Stimmung auf dem Landesparteitag. Selbst die Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl bringt nur vorübergehend etwas Spannung.

Schwäbisch Gmünd - Martin Schulz muss die Treppe zum Podium herunterlaufen, obwohl der Kanzlerkandidat von einer Woge sozialdemokratischer Begeisterung getragen wird. Aber noch ist es nicht soweit, dass er zum Platz schweben kann oder in einer Sänfte dorthin getragen wird. Ein Popstar namens Martin – die SPD flippt aus vor Erleichterung über das Ende der Tristesse. Die Droge wirkt bei allen: Leni Breymaier, die als Landeschefin auf der Erfolgswelle mitsurfen kann, begrüßt den „künftigen Vorsitzenden der SPD Baden-Württemberg“ beim Landesparteitag in Schwäbisch Gmünd. Woraufhin Schulz anhebt: „Ich kann nicht alles machen.“

Die Gegner draußen reiten scharfe Attacken, damit die Welle rasch verebbt. So muss Schulz vielfältige Kritik kontern: Ist er ein Sozialpopulist, der das Land schlecht redet? Er wolle nur, dass sich der gute statistische Zustand des „vibrierenden Landes“ in Gerechtigkeit ausdrücke, sagt er. „Der enorme Reichtum muss sich in mehr Lohn für die Arbeitnehmer spiegeln.“ Gerecht seien Investitionen dort, wo sie notwendig seien – nicht „Steuergeschenke an die falsche Adresse“. Hat er keine Ahnung von Innenpolitik? Elf Jahre sei er Bürgermeister einer Kleinstadt gewesen – „im Rathaus kommen alle Alltagsprobleme der Menschen an“. Er könne nicht 82 Millionen Einzelschicksale in die Hand nehmen, aber eine Grundlage dafür schaffen. Hat er im Europaparlament deutsche Interessen unzureichend vertreten? „Mit mir wird es kein Schlechtreden der Europäischen Union geben.“ Kann einer ohne Abitur die Regierung führen? „Der nächste Bundeskanzler hat kein Abitur und einen Bart.“

94 Prozent für Leni Breymaier auf Listenplatz eins

Schulz bemüht sich um eine Brücke zur Glanzzeit von Willy Brandt, da sei er Teil einer historischen Bewegung für Europa gewesen. So eine Bewegung anzuschieben, ist offenbar sein Traum. Der Kanzlerkandidat will das ganz große Rad drehen, um Angela Merkel – die er mit keinem Wort erwähnt – am 24. September abzulösen.

„Der Schulz-Zug ist in Baden-Württemberg längst angekommen“, sagt Leni Breymaier. Daher schenkt sie dem Kanzlerkandidaten ein ICE-Modell von Märklin aus Göppingen. Zuvor hat Breymaier schon den Löwen als Erfolgssymbol für die Landespartei auserkoren – weil sie das meist schläfrige Tier für ein solides, modernes Wesen hält. Später vergleicht sie ihre Partei auch noch mit einem Baum, dem mit der Landtagswahl die „Äste runtergehagelt sind“. Doch habe der Baum starke Wurzeln, die zu neuer Blüte führen.

Metaphern über Metaphern: „Schulz ist die Hardware“, sagt Breymaier auch. „Doch die Software ist schon da.“ Schulz verkörpere die Gerechtigkeitsthemen, für die in der Landes-SPD seit einem Jahr die Weichen gestellt würden. Für Breymaier ist es ein Heimspiel, sie wohnt 18 Kilometer vom Congress-Centrum entfernt. Das ist kaum der Grund, dass sie noch mehr bejubelt wird als bei ihrer Wahl zur Landeschefin in Heilbronn. 94 Prozent von 316 Delegierten wählen sie auf Platz eins der Landesliste. Die Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl erhält 297 Ja-Stimmen bei 14 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen.

Die Landeschefin hofft auf mehr als 27 Prozent im Herbst

An vielen Stellen ist der Aufbruch spürbar. So hat die Partei seit Anfang Januar bereits 1215 neue Mitglieder – mehr Eintritte als im Jahr 2016, und da hat es schon doppelt so viele Neuzugänge wie 2015 gegeben. Breymaier freut sich auch über die neueste Umfrage dieser Zeitung, wo die SPD bei einer neuen Landtagswahl bei 20 Prozent landen würde – nach 12,7 Prozent bei dem Desaster genau ein Jahr zuvor. Wenn die SPD nun bei der Bundestagswahl auf Bundesebene 31 bis 32 Prozent erreiche, sei sie im Südwesten für mindestens 26 bis 27 Prozent gut, rechnet Breymaier vor. „Und dann holen wir noch das eine oder andere Direktmandat, denn die sind möglich bei dieser Wahl.“ 2013 hatte die CDU alle Direktmandate eingeheimst.

Nils Schmid landet auf Platz sechs – mit knapp 70 Prozent

Damals erntete die Südwest-SPD lediglich 20,6 Prozent. Das Gesamtergebnis im Bund war gut für 20 Abgeordnete. Diesmal sollen es eher mehr werden. Insofern hat sich auch das Gerangel der Funktionäre um die Landesliste leicht entspannt. Breymaier selbst spricht von „26 sicheren Plätzen“. Darum wetteifern in Schwäbisch Gmünd 39 Kandidaten auf der Landesliste. Im geschlechtsspezifischen Reißverschlussverfahren landen die Parlamentarischen Staatssekretäre Christian Lange (82,8 Prozent) und Rita Schwarzelühr-Sutter (90,8) auf den Plätzen zwei und drei, es folgen Lothar Binding (94,6), Hilde Mattheis (77,6) und Nils Schmid (69,6). Der frühere Landeschef gehört neben Breymaier zu den wenigen Neulingen auf der ersten Hälfte der Liste. „Alles gut“, freute sich die Nummer sechs noch vor der Wahl über seine Platzierung als dritter Mann. Es folgen bis Rang zehn Katja Mast (74,0), Martin Gerster (86,6), Ute Vogt (86,0) und Johannes Fechner (91,7 Prozent).

Der Juso-Landeschef scheitert in einer Kampfabstimmung

Die erste Kampfkandidatur findet erst um Platz 20 statt – vorher traut sich niemand, die von Breymaier intensiv austarierte Liste anzugreifen. Der Landesjuso-Chef Leon Hahn will dem von Breymaier unterstützten Mannheimer Abgeordneten und Gewerkschafter Stefan Rebmann den heiklen Rang streitig machen. Sein Argument: Man müsse aus der Wahlniederlage lernen und die Jüngeren mehr beteiligen als bisher. Hahn scheitert knapp. Zuvor hat er zudem die Unzufriedenheit der Südbadener ausgedrückt, die sich nicht ausreichend auf der Liste berücksichtigt sehen. Sie verlieren mit Gernot Erler ihr Zugpferd. Der Freiburger und Rainer Arnold (Nürtingen) wollen als einzige Abgeordnete nicht mehr ins Parlament einziehen. Erler war 2013 noch die Nummer eins der Südwest-SPD – die Zeitenwende ist unverkennbar.

Kompromiss bei der Rente

Der einzige größere inhaltliche Konfliktpunkt bei der Diskussion über den Leitantrag betrifft die Rentenpolitik. Er wird aufgelöst in dem Kompromiss, wonach das gesetzliche Rentenniveau auf dem heutigen Stand von 48 Prozent stabilisiert, langfristig aber auf 50 Prozent steigen soll. Diese Zahlen waren umstritten. Für dieses Ziel sind unter anderem höhere Beitragssätze nötig. Eine Stärkung der finanziellen Basis soll mit der Ausweitung der Rentenversicherung auf Selbstständige, mehr Steuermitteln und einem voraussichtlichen Beitragssatz in den 2040er Jahren von bis zu 25 Prozent hergestellt werden. Dieser Konsens entspricht dem Positionspapier des Deutschen Gewerkschaftsbundes, wie Roman Zitzelsberger sagt.