Schwerer Schlag für Nils Schmid: Der Südwest-SPD-Chef wird in seinem Wahlkreis nur Vierter Foto: dpa

Dass sie hinter den Grünen lag, hielt die SPD 2011 für einen Betriebsunfall. Doch bei der Landtagswahl am Sonntag kam es für sie noch schlimmer: Sie stürzte so tief wie noch nie.

Stuttgart - Für einen Augenblick wird es ganz still im Saal. Eine Art Schockstarre erfasst die Gäste im SPD-Hauptquartier im Neuen Schloss, als um 18 Uhr die erste Wahlprognose über den Bildschirm läuft: Voraussichtlich 13 Prozent der Wähler haben demnach der Südwest-SPD ihre Stimme gegeben – genau sind es 12,7. Das sind über zehn Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. Schon damals waren es so wenige wie nie zuvor. Dass es noch schlimmer kommen könnte, hatte sich damals niemand vorstellen können –in ihrer besten Zeit, 1972, hatten die Sozialdemokraten 37 Prozent geholt.

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„Es ist ein bitterer Tag“, sagt Nils Schmid, als er eine halbe Stunde später in der Alten Kanzlei vor die Genossen tritt, die ihn mit langem Beifall empfangen. Das Ergebnis sei schmerzhaft, von der guten Arbeit der grün-roten Koalition hätten allein die Grünen profitiert. Die landespolitischen Themen hätten im Wahlkampf keine Rolle mehr gespielt, das Thema Flüchtlinge habe alles überlagert. Jetzt sei es Aufgabe von Kretschmann und den Grünen, eine Regierung zu bilden.

Für eine Fortsetzung der grün-roten Koalition reicht es nicht mehr. Statt 35 werden noch 19 SPD-Abgeordnete im Landtag sitzen, prominente Mitglieder wie Fraktionschef Claus Schmiedel und Sozialministerin Katrin Altpeter haben ihr Mandat verloren. Das einzige bisherige SPD-Direktmandat in Mannheim I ging an die Alternative für Deutschland (AfD), die viele Stimmen von der SPD abgezogen hat, ebenso wie die Grünen. Mit 22,2 Prozent ist der Mannheimer SPD-Kandidat Stefan Fulst-Blei Stimmenkönig unter den Sozialdemokraten, gefolgt von Kultusminister Andreas Stoch mit 19,4 Prozent im Wahlkreis Heidenheim.

Die Rechnung ist nicht aufgegangen

„Es ist der bitterste Tag in meiner politischen Laufbahn“, bekennt Innenminister Reinhold Gall. Dass die Leistungen der SPD so wenig honoriert würden, sei enttäuschend. „Wir müssen das Ergebnis in aller Ruhe analysieren.“ Viele Genossen hatten auf ein Wunder gehofft, wie 2011 – auch damals lag die SPD in Umfragen zeitweise unter 20 Prozent, erholte sich aber wieder und landete bei 23,1 Prozent. Das reichte für ihren damaligen und heutigen Spitzenkandidaten Nils Schmid nicht, um Ministerpräsident zu werden – aber die 58 Jahre währende CDU-Vorherrschaft war gebrochen. Grüne und SPD wollten auf Augenhöhe miteinander regieren – mit seinem Superministerium für Finanzen und Wirtschaft wollte Schmid seine Partei eigentlich zur Nummer eins machen.

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Die Rechnung ist nicht aufgegangen – künftig ist sie Nummer vier. Für den 42-jährigen Landeschef könnte es eng werden. Welche Rolle wird Nils Schmid spielen, falls die SPD nicht mehr an einer Regierung beteiligt ist? Der Fraktionsvorsitz wird frei, weil Claus Schmiedel, der bisherige Chef der Landtagsfraktion, den Einzug in den Landtag verpasst hat. Aber viele Abgeordnete sind auf Schmid nicht gut zu sprechen, machen ihn teilweise für das Wahldebakel verantwortlich, weil er sich anfangs über Warnungen hinweggesetzt und manche Weichen falsch gestellt habe – etwa bei der Entscheidung für eine Kultusministerin, die mit den geplanten Bildungsreformen überfordert war und 2013 gehen musste. Ihr Nachfolger Andreas Stoch gilt ebenso als möglicher Anwärter für den Fraktionsvorsitz wie Innenminister Reinhold Gall oder Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hofelich.

Böse Erinnerungen an das Jahr 1996

Das Ergebnis weckt bei manchen böse Erinnerungen an das Jahr 1996. Damals war die SPD nach einer vierjährigen Koalition mit der CDU abgestürzt, von 29,4 auf 25,1 Prozent. Davon profitierten vor allem Grüne und FDP.

Über Personalfragen und mögliche Koalitionen mag an diesem Abend niemand öffentlich reden. In einer Regierung mit Grünen und FDP bliebe wenig Spielraum, sich zu profilieren. Aber auch in der Opposition wird das schwierig – die AfD dürfte alles daransetzen, sich lauthals bemerkbar zu machen. Und die CDU-SPD-FDP-Koalition, die CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf auch nach der Wahlschlappe unverdrossen ins Gespräch bringt? „Die Grünen haben das Mandat zur Regierungsbildung, nicht die CDU“, antwortet Schmid.

Die SPD dürfe sich auf eine Koalition mit CDU und FDP nicht einlassen, sagen manche Genossen. Es gehe nicht ums Regieren um jeden Preis. Vielmehr müsse die Partei sich und anderen klarmachen, was ihr eigentliches Ziel sei, wenn sie Wähler zurückgewinnen wolle. Ihr Anspruch, alle Schichten zu vertreten, sei nicht angekommen, sagt Fraktionschef Claus Schmiedel. Staatssekretärin Marion von Wartenberg erwartet vom Bund mehr Unterstützung, etwa Investitionen in den Wohnungsbau. Im Wahlkampf hätten viele, die sich benachteiligt fühlten, erklärt, dass sie der SPD nicht mehr vertrauten.

Musterland für gute Arbeit

Die SPD müsse sich wieder mehr um Sozialpolitik und die Besteuerung von Vermögen sowie um Friedenspolitik kümmern, fordert auch Karl Bayer, seit über 50 Jahren Parteimitglied. Studentin Jasmin Meergans trat vor drei Jahren der SPD bei, weil sie dort Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität am besten vertreten sah. Beide erwarten, dass ihre Partei jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergeht.

IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger und DGB-Chef Nikolaus Landgraf bedauern, dass eine wichtige Periode vorzeitig zu Ende geht. Mit Mindestlöhnen und Bildungszeitgesetz habe Grün-Rot wichtige Forderungen der Gewerkschaften eingelöst, sagt Zitzelsberger. Landgraf hofft, „dass Baden-Württemberg als Musterland für gute Arbeit weiter ausgebaut wird“.