Wieland Backes muss auf dem Tunnelmund der Konrad-Adenauer-Straße die Stimme erheben, um zu seinen Zuhörern durchzudringen. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Der ehemalige TV-Moderator Wieland Backes hat eine Schar von Interessierten durch die Stuttgarter City geführt und ihnen hochinteressante Einblicke verschafft. Denn eigentlich dürfte es die stark befahrene B 14 schon lange nicht mehr geben.

Stuttgart - Sie ist mächtig, sie ist hässlich und sie ist laut, die Stadtautobahn mitten durch die Kulturmeile – auch an einem Samstagvormittag. Wieland Backes, bekanntes Fernsehgesicht und mit seinem Verein Aufbruch Stuttgart ein Streiter für mehr Lebensqualität in der Landeshauptstadt, muss auf dem Tunnelmund der B 14 trotz Mikrofon die Stimme erheben. Die mehr als 40 Teilnehmer des 95. Stadtspaziergangs, initiiert von der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung, lauschen gebannt. Sie stehen über einer Straße, die es so eigentlich schon lange nicht mehr geben dürfte. Davon später mehr.

Der launige Rundgang beginnt vor dem Wilhelmspalais, wo Architekt Arno Lederer die Teilnehmer empfängt. Er und seine Bürokollegen zeichnen verantwortlich für den 41 Millionen teuren Umbau des einstigen königlichen Wohnhauses. Lederer führt auf den Balkon. „Einer der besten Punkte der Stadt“, so der Architekt. Der Blick geht auf die Planie, aufs Neue und aufs Alte Schloss bis hin zum Kunstmuseum. „Früher war das die Stuttgarter Promenade“, sagt er. Jetzt trennten insgesamt 13 Fahrspuren das Wilhelmspalais von der Innenstadt. Deshalb engagiert sich Lederer auch beim Verein Aufbruch Stuttgart, der inzwischen 650 Mitglieder zähle, so Backes. Dabei gehe es nicht nur um die Konrad-Adenauer-Straße, aber: „Irgendwo muss man ja anfangen“, sagt Arno Lederer. Backes ergänzt: „Stuttgart opfert dem Verkehr sehr viele städtische Räume. Das wollen wir ändern.“

Backes spricht von „stadtplanerischer Mutlosigkeit“

Einen Eindruck bekommt man davon auf dem Tunnelmund der B 14. 120 000 Autos seien hier werktags unterwegs, so Backes. Er spricht von stadtplanerischer Mutlosigkeit. Es habe mehrere Wettbewerbe gegeben, ein Stadtboulevard sei angedacht worden. „Passiert ist nichts“, so der ehemalige TV-Mann. Es gebe nächstes Jahr allerdings einen neuen Wettbewerb, und Aufbruch Stuttgart sei eingebunden. „Das ist ein großer Schritt“, sagt Backes.

Weiter geht’s durch den Akademiegarten und unter der B 14 hindurch zur Staatsgalerie. Auch hier kommt Kritik auf. „Der Mensch wird in den Untergrund verwiesen und spielt nur die dritte Geige“, sagt Backes.

Vor der Staatsgalerie empfängt deren ehemaliger Direktor Christian von Holst die Spaziergänger. Der Mann ist ein wahrer Quell an Informationen – und auch er kann rechtschaffen schimpfen. 1972 sei die B 14 von vier auf neun Spuren verbreitert worden. Und blicke man heute von der Staatsgalerie über die Straße, sehe man das Kulissengebäude der Oper. „Das ist Hinterhofarchitektur“, so von Holst. Das sei wohl der „schäbigste Vorplatz eines großen Museums in ganz Deutschland“.

Die Stadtautobahn sollte vor vielen Jahren verschwinden

Die Geschichte des Staatsgalerie-Neubaus zeigt, warum es die hässliche Stadtautobahn B 14 eigentlich gar nicht gibt. 1977 hatte sich der britische Architekt James Stirling im Wettbewerb um den Auftrag gegen viele renommierte Kollegen durchgesetzt. „Obwohl er sich nicht an die Vorgaben gehalten hat“, erzählt von Holst. Stirling habe den Neubau wie eine Skulptur angelegt, habe Travertin aus Bad Cannstatt und Naturstein aus Heilbronn verbaut. „Das führte zu großer Empörung“, so von Holst. Als Stirling anfragte, ob es in Ordnung sei, das Gebäude zur Straße hin auszurichten, sei ihm gesagt worden: „Die Straße wird noch während der Bauzeit verschwinden“, weiß von Holst. Die Stadtspaziergänger schauen sich ungläubig an und starren auf die Stadtautobahn, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte.

„Das schönste Opernhaus der Welt“

Jedenfalls sei der Stirling-Bau eine Erfolgsgeschichte, so von Holst. Schon kurz nach der Eröffnung habe man die Geländer neu streichen lassen müssen, weil sie von dem Besucheransturm abgegriffen gewesen seien.

Der beeindruckte Tross Spaziergänger wechselt hinüber zur Oper, wo der scheidende Intendant Jossi Wieler schon wartet. Wieler schwärmt vom Littmann-Bau, macht aber klar, dass die Sanierung überfällig ist – auch wenn vor vielen Jahren der berühmte Theater- und Filmregisseur Max Reinhardt gesagt habe, der Littmann-Bau sei „das schönste Opernhaus der Welt“. Von Jossi Wieler erfahren die Teilnehmer auch, dass der Eckensee einst oval gewesen sei. Der Vorplatz des Opernhauses sei immer noch schön, aber Wieler stört sich an den Bänken und Blumenkübeln aus Waschbeton. „Das sieht aus wie in einer sozialistischen Provinzstadt.“