Kein einträgliches Geschäft mit der häuslichen Betreuung: Wegen hoher Defizite beendet das Rote Kreuz in Ludwigsburg sein Angebot.
Stuttgart - Über eine mangelnde Auswahl bei der ambulanten Betreuung können sich Senioren in Stuttgart wahrlich nicht be-klagen. Exakt 92 Pflegedienste gibt es in der Landeshauptstadt. Caritas und Diakonie kommen für den Wechsel von Wundverband und Blasenkatheter ebenso ins Haus wie die Arbeiterwohlfahrt oder das Rote Kreuz.
Neben dem Angebot der kirchlichen und sozialen Träger tummeln sich bisher gleich 49 gewerbliche Dienstleister auf dem Markt für die häusliche Pflege. Im Alter noch in den eigenen vier Wänden wohnen zu wollen ist in Stuttgart kein Ding der Unmöglichkeit – in Bad Cannstatt mühen sich insgesamt acht Pflegedienste und Sozialstationen um die Versorgung ihrer Kundschaft, in Weilimdorf sind immerhin noch drei Anbieter im Boot.
Die Frage ist, wie lange es diese Fülle noch gibt – und ob sich nach dem Service in ländlich strukturierten Regionen künftig auch im Ballungsraum das Betreuungsangebot ausdünnt. Denn wirklich rentabel scheint die häusliche Hilfe für pflegebedürftige Menschen in den seltensten Fällen zu sein.
Im Gegenteil: Nach Schätzungen von Pflegeexperten schreiben mittlerweile etwa 60 Prozent der 1110 Pflegedienste im Land nur noch rote Zahlen. „Die Schere zwischen der von den Kassen bezahlten Leistungsvergütung und dem tatsächlichen Personalaufwand geht immer weiter auf“, stellt Udo Bangerter vom DRK-Landesverband nüchtern fest. Und Kollege Johannes Kessler vom Diakonischen Werk spricht gar von einem Systemfehler: „Bei den Kostensätzen für die Betreuung wurde in den vergangenen zehn Jahren keine einzige Lohnerhöhung ein-kalkuliert – da darf es niemand wundern, wenn sich ambulante Pflege nicht rechnet.“
An der chronischen Unterfinanzierung besteht für die Branche jedenfalls kein Zweifel. Durch die Pflegereform in der Mitte der 1990er Jahren hat das Netz von Sozialstationen und ambulanten Pflegetaxis einen Boom erlebt. Um die kostenintensive Unterbringung in Krankenhaus und Pflegeheim zu verkürzen, wollte der Gesetzgeber die häusliche Versorgung fördern, wie die Pilze schossen kirchliche und soziale Angebote sowie private Dienstleister aus dem Boden.
Wie groß der Markt für die ambulante Pflege ist, zeigen die landesweiten Zahlen: Von 278 000 pflegebedürftigen Menschen im Südwesten werden immerhin 190 000 auch im hohen Alter noch in den eigenen vier Wänden versorgt. Ein Drittel dieser häuslich betreuten Patienten hat mit der ambulanten Hilfe einen der 1110 Pflegedienste in Baden-Württemberg beauftragt. Finanzielle Unterstützung gibt es auch für Angehörige, die sich um betagte Verwandte kümmern. Und auch aus einer dritten Säule der Betreuung ist ein lukratives Geschäftsfeld geworden: Als vornehmlich aus Osteuropa stammende Haushaltshilfen arbeiten schon nach vorsichtigen Schätzungen etwa 150 000 Frauen als Pflegekräfte in Deutschland. Die tatsächlichen Zahlen dürften weitaus höher liegen – wer als häusliche Helferin nicht ordnungsgemäß angemeldet ist, taucht in der Statistik über Pflegetätigkeit gar nicht auf. Für die Sozialkassen zahlt sich die Vielfalt bei der Betreuung aus – viele Pflegedienste allerdings fürchten mittlerweile um ihre Existenz. Bei steigenden Personalkosten wird es immer schwieriger, mit den für die Pflege gewährten Kostensätzen über die Runden zu kommen. Seit Jahren fährt etwa der DRK-Kreisverband in Ludwigsburg mit seinem Pflegedienst ein Minus ein – weil das Defizit nicht kleiner wird, zieht die Sozialorganisation jetzt die Notbremse. Im Juli wird die ambulante Betreuung eingestellt, die bisher versorgten Patienten müssen sich nach einem anderen Anbieter umsehen.
Für Achim Uhl vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist der angekündigte Rückzug kein Einzelfall. „Da ist nicht nur das Rote Kreuz in Ludwigsburg betroffen. Es ist sicher, dass in nächster Zeit noch andere Pflegedienste unter die Räder kommen“, warnt er. Wer seinem Personal den Tariflohn zahle, stehe mit jeder Gehaltserhöhung mit dem Rücken enger an der Wand.
Vor allem kirchliche Träger hatten bereits im vergangenen Frühjahr gegen die immer schlechtere Finanzausstattung in der Pflege protestiert. Im November durften sich die Wohlfahrtsverbände sogar über eine leichte Erhöhung der Kostensätze freuen. Nach den gescheiterten Verhandlungen mit der AOK Baden-Württemberg beendete ein Schiedsverfahren die monatelange Hängepartie – und bescherte den Pflegediensten wenigstens eine um 3,7 Prozent erhöhte Bezahlung ihrer Leistungen. Unter Dach und Fach ist die Anhebung der Vergütung aber längst nicht. Im Januar hat die Krankenkasse beim Sozialgericht in Stuttgart eine Klage gegen den Kompromiss eingelegt. Begründet wird die Anfechtung unter anderem mit der pauschalen Erhöhung der Kostensätze – und der rückwirkenden Ausrichtung.
Die Leidtragenden beim Streit ums Geld könnten neben den Pflegediensten auch die Patienten sein. Schon jetzt lehnen private Anbieter einen Einsatz mit weiten Anfahrtswegen dankend ab. Bei der Liga der freien Wohlfahrtspflege wird deshalb schon um die flächendeckende Versorgung gefürchtet. Auch das Rote Kreuz sieht vor allem ländlich strukturierte Regionen als Sorgenkinder. „Während sich in den Ballungsräumen eher zu viele Anbieter auf dem Markt bewegen, gibt es auf dem flachen Land oft niemand, der wegen ein paar Kompressionsstrümpfen ins letzte Dorf fährt“, betont der für den Bereich ambulante Pflege zuständige Gerhard Stobodzian. Auch der steigende Aufwand für die Dokumentation der Einsätze werde von den Kassen nicht bezahlt. Johannes Kessler vom Diakonischen Werk drückt es so aus: „Wenn sich nichts tut, kann sich die Versorgung dramatisch verschlechtern.“