Das Leben in den Bezirken unter dem Fernsehturm ist bunt. Die jüngste Sozialdatenerhebung der Stadt Stuttgart zeigt: Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten leben in unmittelbarer Nachbarschaft. Foto: Archiv Steinert

In den Stadtbezirken Birkach, Plieningen, Degerloch und Sillenbuch ist die heile Welt tatsächlich noch vergleichsweise heil. Das lässt sich aus dem Zahlenmaterial des Sozialdatenatlas’ der Stadt herauslesen.

Filder - Gute Nachrichten verkaufen sich schlecht, behaupten manche. Sollte das zutreffen, dürfte dieser Artikel es schwer haben, aufmerksame Leser zu finden. Denn der aktuelle Sozialatlas der Stadt Stuttgart zeigt, dass in den Bezirken unterm Fernsehturm die viel beschworene heile Welt tatsächlich vergleichsweise ziemlich heil daherkommt.

Auf Stadtteileben kein einheitliches Bild

Bei allen Indikatoren schneiden die Bezirke Birkach, Plieningen, Sillenbuch und Degerloch im Stuttgarter Vergleich gut ab. Das Bild bekommt andere Facetten, wenn der Fokus auf einzelne Stadtteile fällt. Der Birkacher Norden, Heumaden oder Riedenberg weisen eine deutlich andere soziale Struktur auf als Schönberg oder Sillenbuch. Dort leben zum Beispiel deutlich mehr Menschen, die auf eine staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Im Durchschnitt ergibt sich aber ein positiver Blick auf die soziale Lage in den Bezirken Plieningen, Birkach, Sillenbuch und Degerloch. „Stuttgart steht im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten gut da, und diese vier Bezirke stehen wiederum in Stuttgart gut da“, sagt Sabrina Pott von der Abteilung Sozialplanung im Sozialamt. Sie zeichnet unter anderem verantwortlich für den Sozialatlas. In diesem sind Daten aus dem Jahr 2013 erfasst und umfassend ausgewertet worden.

3,8 Prozent der Degerlocher bekommen ALG II

Zusammengetragen wurden mannigfaltige Informationen vom Prozentsatz der Alleinerziehenden bis zum Anteil der Migranten in verschiedenen Altersgruppen. Auch wurde erfasst, wie viele Menschen auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. In Degerloch lag der Anteil derjenigen, die das Arbeitslosengeld II (ALG II) inklusive Sozialgeld bezogen, bei 3,8 Prozent. In Birkach betrug er mit 6,3 Prozent knapp doppelt so viel. In einer ähnlichen Größenordnung rangieren die Zahlen für Plieningen (5,7 Prozent) und Sillenbuch (6,7 Prozent). In keinem der vier Bezirke gab es eine wesentliche Veränderung im Vergleich zur letzen Erhebung im Jahr 2009.

Diese Zahlen liegen deutlich unter denjenigen aus anderen Stuttgarter Bezirken. In Mühlhausen zum Beispiel beträgt der Anteil von Menschen, die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind, 11,4 Prozent. In Wangen sind es 12,5 Prozent. Große Unterschiede gibt es aber innerhalb der Bezirke auf Ebene der Stadtteile. So weist etwa Hohenheim nahezu keine Menschen auf, die Transferleistungen in Anspruch nehmen. Eine Erklärung für den relativen Wohlstand rund um den Fernsehturm bietet die Altersstruktur. Erfasst wurde im Sozialatlas das Verhältnis von über 65-Jährigen zu 20- bis 65-Jährigen. In Sillenbuch beträgt der Altersquotient 48 Prozent. In Degerloch sind es circa 40 Prozent, in Birkach sind es knapp über 37 Prozent. In Plieningen ist die Bevölkerung etwas jünger. Der Anteil an Menschen, die älter als 65 sind, beträgt knapp über 31 Prozent.

Genug Geld für die eigene Gesundheit

Nun sei die Schlussfolgerung, Ältere seien automatisch wohlhabend, viel zu pauschal, betont Sabrina Pott vom Sozialamt. Doch in den Wohnlagen rund um den Fernsehturm würden Menschen leben, die sich die Mieten oder Immobilienpreise auch leisten können. „Die älteren Menschen in diesen Bezirken sind im Durchschnitt finanziell gut abgesichert. Das bedeutet auch, dass sie in der Regel fit sind und sich selbst Hilfe organisieren können“, sagt Pott. Für die Sozialplanung werde es dann schwierig, wenn in Quartieren aufgrund des demografischen Wandels der Anteil an älteren Menschen steige, die von Armut betroffen sind, erklärt Pott. Anders ausgedrückt haben die „Best Ager“ etwa in Sillenbuch oder Schönberg die Mittel, um in ihre Gesundheit zu investieren, ohne dafür staatliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Das entlastet die öffentlichen Kassen.

Die vier Bezirke Sillenbuch, Degerloch, Plieningen und Birkach sind den Daten aus dem Sozialatlas zufolge aber auch attraktiv für Familien. In 19, 4 Prozent der Sillenbucher Haushalte leben Kinder. In Degerloch beträgt der Anteil 17, 8 Prozent. In Birkach 18,6 Prozent, in Plieningen 16, 2 Prozent. Das klingt wenig, ist es im Stuttgarter Durchschnitt aber nicht. „Wir haben wie in allen Großstädten einen großen Anteil an Single-Haushalten. Familien siedeln sich nach wie vor oft im Umland an“, sagt Pott. Doch es gebe auch Motive für Familien, in bestimmten Bezirken zu wohnen, erklärt sie. „Dazu zählen zum Beispiel gute Schulen vor Ort“, sagt sie.

Vergleichsweise wenige Migranten

Der Anteil an Migranten liegt in den vier Bezirken dagegen unter dem Durchschnitt von 41,4 Prozent. In Degerloch beträgt er 27,4 Prozent, in Sillenbuch 31,6 Prozent, in Birkach 32,6 Prozent und in Plieningen liegt er bei 31,1 Prozent. Die Bezirke mit hohem Migrantenanteil sind im Norden und Osten der Landeshauptstadt, in denen Industriebetriebe schon früh ausländische Fachkräften angeworben hatten.

Doch auch in den Bezirken unter dem Fernsehturm beträgt der Migrantenanteil inzwischen circa ein Drittel. Auch das könnte damit zu tun haben, dass es sich gut lebt jenseits des Stuttgarter Kessels.