Ein satter Knack beim Butterkeks Foto: Bahlsen

Sounddesigner produzieren Klang von Artikeln - E-Motor: Industrie entwickelt Geräusche.

Stuttgart - Audi macht es, Daimler und Bahlsen: Sie lassen Produkte so klingen, dass man sie kauft. Sounddesign heißt das. Die Geräusche prägen das Image einer Marke und wirken auf die Kunden oft unbewusst. Deshalb ist das Konzept so erfolgreich.

Ritsch, ratsch, klick: Jörg Becker-Schweitzer erinnert sich noch genau an den Klang seiner Jugend. Ritsch, ratsch, klick war der Sound seiner Agfamatic 4000, einer Pocketkamera, mit der er Mitte der 70er Jahre die Welt im Bild bannte. Film spulen und abdrücken: Ritsch, ratsch, klick wurde zum Slogan und zum Synonym einer Foto-Generation. "Ein perfektes Sounddesign", sagt Becker-Schweitzer. "Der Klang ist damals zum Markenzeichen geworden."

Das Geschäft mit den Geräuschen boomt, denn mit ihnen lassen sich Geschäfte machen. Rund 15 Firmen widmen sich praktisch ausschließlich dem Sounddesign. Auch bei Becker-Schweitzer, Professor im Bereich Psychoakustik an der Fachhochschule Düsseldorf, melden sich immer mehr Unternehmen. Seit Mitte der 1990er Jahre ist das Verständnis, dass Marken nicht nur gut aussehen, sondern auch gut riechen, klingen und sich anfühlen müssen, gewachsen. Vorreiter war die kapitalstarke Automobilindustrie, hier tüftelte Becker-Schweitzer einst am Sound eines typischen Ford-Motors. Jetzt misst er Abbeiß- und Kaugeräusche bei Keksen oder denkt sich völlig neue Klänge aus. Soll zum Beispiel eine Digitalkamera beim Auslösen piepsen? Oder bevorzugt ein kaufwilliger Fotoamateur lieber das satte Verschlussgeräusch einer analogen Spiegelreflexkamera?

Auch das Ohr isst mit

Eine Unterscheidung, die Geld wert ist. Weil wir gut wegsehen, aber schlecht weghören können, nehmen wir unbewusst ständig Klänge war, die wir als angenehm oder als eher lästig empfinden, und verknüpfen sie mit Gegenständen. Pfiffige Ingenieure entwickeln deshalb Produkte, die den Klang einer Marke prägen und beim Kunden positive Gefühle auslösen: das Ploppen des Bügelverschlusses einer Flasche Flensburger, das Röhren eines Porsche-Motors. Das Knacken einer Knacki-Wurst. Nicht nur das Auge, auch das Ohr isst mit. Nahrhaft ist, was dunkel und warm klingt. Je lauter und heller, desto frischer wirken Lebensmittel.

Nirgendwo weiß man das wohl besser als bei Bahlsen. Der Backwarenproduzent hat eine Forschungsabteilung für den Klang von Butterkeksen aufgebaut. Im hauseigenen Texture Analyzer werden Kekse zerbröselt und dabei Druck und Zeit gemessen, jedes Geräusch penibel mit dem Richtmikrofon übertragen. Inzwischen hat man neben den Abbeißgeräuschen auch die Kaugeräusche erfasst. "Biaurale Aufnahmetechnik" nennt das Bahlsens Chef-Forscher Steffen Weise. Dabei werden zwei Mikrofone so im Ohr platziert, dass sie das Kaugeräusch authentisch erfassen. Die Aufnahme - einmal abbeißen, siebenmal kauen innerhalb von zehn Sekunden - wird dann den Gutachtern vorgeführt. Deren Keks-Vokabular kann mit dem eines Wein-Connaisseurs konkurrieren: Es geht um Knusprigkeit (schwach-knusprig-labberig bis stark-knusprig), um Klangfarbe, Lautstärke, Konsistenz und Struktur. Aber auch Subjektives spielt eine Rolle - wie eigentümlich oder anregend ein Keks zum Beispiel schmeckt. "Ein Keks ist eine emotionale Sache, sagt Weise. "Jedes Produkt hat einen eigenen Klang und Charakter."

Sechs Kilo Gebäck nascht der Deutsche im Schnitt im Jahr - für Bahlsen scheint sich der Aufwand zu lohnen. Besorgt ist man nur über ein Gerücht, das sich seit Jahren in der Branche hält: "Der Nestlé-Konzern soll an einem künstlichen Kiefer arbeiten, um Essgeräusche zu spezifizieren."

"Geräusch so wichtig wie Geschmack"

Kiefer? Bei Nestlé winkt man ab, man scheint den Aufwand zu scheuen, denn die Forschungsausgaben spielen sich eher bei höherpreisigen Produkten wieder ein als im Lebensmittelmarkt, wo in Deutschland die Discounter dominieren. "Natürlich sind auch Geräusche wichtig, aber nicht mehr oder weniger als zum Beispiel der Geschmack oder die Optik eines Produkts", heißt es deshalb beim weltgrößten Lebensmittelkonzern. Selbst bei der lautmalerischen Würstchen-Marke Hertas Knackis gehe es "um die Konsistenz und nicht ums Geräusch" Spezialisten für das Sounddesign? "Haben wir nicht."

Carl-Frank Westermann hält das für Ignoranz. "Es geht doch um Identität", sagt er. "Ich würde jedem Hersteller raten, das eigene Markenverständnis in seinem Klang zu transportieren und sich damit von den Konkurrenten abzuheben." Wenn Westermann spricht, klingt es ruhig, freundlich und sonor, die Stimmmarke eines vertrauenswürdigen Beraters. Westermann aber hat einst für die Band Fehlfarben am Keyboard gestanden und an der Universität der Künste in Berlin den Weiterbildungsstudiengang Sound Studies entwickelt. Die Firmen, sagt er, müssten sich auch umfassend damit beschäftigen, für was die Marke überhaupt stehen soll. "Selbst wie im Kaufhaus die Kasse klingelt, hat viel mit dem Wohlbefinden der Kunden zu tun. Klänge wirken doch oft stärker auf unser Unterbewusstsein als die oberflächliche Wahrnehmung durch das Auge. Zurzeit steht das Visuelle zu stark im Vordergrund. Das schwächt das Markenerlebnis."

Westermann gehört zur Generation, die einen Mercedes am Zuschlagen der Tür erkannte. "Das hatte mit dem Material zu tun, das klang hochwertig, das konnte man unmittelbar nachempfinden. Wenn eine Marke wie Mercedes für Solidität steht, sollte sie das auch klanglich erfüllen. Steht sie für Harmonie und Freundlichkeit, müssen die Klänge technisch nicht perfekt sein, dafür aber bauchig und harmonisch."

Lautlose Elektroautos müssen Geräusche machen

Fast ist man schon im Reich der Musik. Wo die Hersteller viel Geld fürs Material einsetzen und die Kunden Geld für das Image, komponiert Ralf Kunkel die Klänge seiner Marke - ein Sound mit vielen Stimmen. "Wir haben ein extrem großes Produktportfolio", sagt der Leiter der Abteilung Akustik bei Audi. "Der Charakter des Sounds muss immer zu den einzelnen Fahrzeugklassen passen." Ob Audi, Daimler oder Toyota - von allen Branchen treiben die Autobauer das Thema Sounddesign derzeit am schnellsten voran.

In den 70er Jahren wurden Autos produziert - und dann das verbessert, was zu sehr dröhnte oder schepperte. In den 80er Jahren wurden sie vor allem leiser. Ab Mitte der 90er Jahre bekamen sie auch klanglich eine eigene Gestalt. Dafür sind schon bei der Konstruktion die Akustiker mit im Spiel. Beispiel Tür: Sicher muss sie sein, luftdicht und leicht - und mit einem kurzen niederfrequenten Plopp schließen, der für Qualität steht. "Man muss genau schauen, an welchen Stellen wie gedämmt wird und welche Dichtungen verwendet werden", sagt Kunkel. "Der Stellenwert des Sounddesigns ist inzwischen enorm."

Sogar die Vereinten Nationen beschäftigen sich damit. Weil Elektroautos bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern die Stunde nahezu lautlos fahren, müssen sie bis zum Sommer klanglich aufgerüstet werden. Fußgänger sollen dann erkennen können, ob sich ein E-Mobil nähert, ob es beschleunigt oder bremst. Eine bizarre Situation für Kunkel und die Klangdesigner. Jahrzehntelang versuchte man, das Auto leiser zu machen - jetzt soll man Geräusche erfinden. Nur welche?

Hier halten sich die Hersteller bedeckt. Sicher ist nur, dass es kein Klingelton, Vogelzwitschern oder Blätterrauschen wird. Auch das E-Mobil muss nach Auto klingen, so will es das Gesetz. "Neben Sicherheitsaspekten wollen wir auch den Komfortansprüchen der Kunden gerecht werden und zugleich auch für einen Spaßfaktor sorgen, beispielsweise durch ein positiv wahrnehmbares Geräusch beim Beschleunigen", teilt Daimler etwas umständlich mit. Audi verweist zumindest auf den Hollywood-Blockbuster "I, Robot", für den Audi ein futuristisches Fahrzeug entwickelte. Auf einer Verfolgungsjagd wird das turbinenhafte, hohe Geräusch effektvoll in Szene gesetzt. Was Sinn ergibt, schließlich ist die Drehzahl eines E-Motors mit etwa 20000 Umdrehungen um ein Vielfaches höher als bei einem Verbrennungsmotor mit seinen rund 7000 Umdrehungen. "Wer ein Elektroauto kauft, macht auch ein Umwelt-Statement", sagt Akustiker Kunkel. "Der will nicht, dass der Sound eines Achtzylinders herausröhrt."