Kritik an Sony: Foto: Universal

Ein typischer Weihnachtsfilm zum Abschalten sollte „The Interview“ werden, Starttermin war der 25. Dezember – doch am Freitag wurde klar, dass die US-Kinos die Komödie nicht zeigen werden. Sie hatten Angst vor einem Blutbad, nachdem Hacker im Internet dem Filmstudio Sony Pictures mit Anschlägen gedroht hatte.

Stuttgart - Ein typischer Weihnachtsfilm zum Abschalten sollte „The Interview“ werden, Starttermin war der 25. Dezember – doch am Freitag wurde klar, dass die US-Kinos die Komödie nicht zeigen werden. Sie hatten Angst vor einem Blutbad, nachdem Hacker im Internet dem Filmstudio Sony Pictures mit Anschlägen gedroht hatten, weil ihnen der Inhalt nicht passt: In „The Interview“ geht es um ein Attentat auf den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un, das zwei US-Journalisten (Seth Rogen und James Franco) im Auftrag der CIA verüben sollen.

Es sind die selben Hacker, die Computernetzwerk von Sony attackiert und zum ersten Mal überhaupt den gesamten Datenschatz eines Unternehmens gestohlen haben: E-Mails, Personalakten, unveröffentlichte Projekte, angeblich eine frühe Fassung des Drehbuchs des neuen Bond-Films. Sony wurde dadurch ins Zeitalter vor dem Computer zurückgeworfen, Mitarbeiter müssen mit Papier, Stift und Fax arbeiten.

Der Hackerangriff und die Absetzung des Films seien extrem besorgniserregend, sagt der russische IT-Sicherheitsexperte Eugene Kaspersky. „Wenn Hacker mit Terror-Drohungen in der realen Welt ihr Ziel erreichen, ist das schlecht für alle.“ Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht“) fragt in der „Los Angeles Times“: „Werden wir uns jedesmal unterdrücken lassen, wenn jemand etwas online postet?“ Den Hollywood-Studios sagt er eine „düstere Zukunft“ voraus. Auch Schauspieler und Entertainer zeigen sich enttäuscht, Amerika fürchtet um die Freiheit der Kunst.

Die Aufregung ist so groß, weil Sony zwar Konzern-Chefs in Japan hat, als Filmstudio aber ein ur-amerikanischer Betrieb ist und für amerikanische Werte steht. „Kein Wunder, dass so viele Menschen zu Hause und im Ausland meinen, Amerika befände sich auf dem Rückzug“, urteilte etwa US-Kommentator Tom Bevan. „Früher wäre es undenkbar gewesen, dass ein Blecheimer-Diktator auf der anderen Seite der Welt US-Unternehmen auf diese Weise schikanieren kann.“

Von den Hackern veröffentlichte E-Mails von Sony belegen, dass das Studio sich bewusst war, dass es wegen „The Interview“ Ärger geben könnte. Es setzte bei den Co-Regisseuren Evan Goldberg und Seth Rogen durch, Kims Leinwand-Tod bei einer Explosion etwas weniger brutal darzustellen als geplant. Auch die japanische Zentrale des Mutterkonzerns Sony soll darauf gedrungen haben. In einem ins Netz durchgesickerten Ausschnitt ist immer noch zu sehen, wie Kims Kopf explodiert und seine Haare Feuer fangen, bevor er von einem Flammenmeer verschlungen wird. Im Trailer indes dominiert Slapstick: Die Nordkoreaner glauben alles, was Kim sagt – etwa, dass er mit Delfinen sprechen kann und nie zur Toilette muss.

Ermittler in den USA vermuten Nordkorea „zu 99 Prozent“ hinter dem Angriff, Pjöngjang dementiert. Beweise wurden bislang nicht gefunden, auch wenn es technische Ähnlichkeiten zu einer Attacke auf südkoreanische Banken und Medien im vergangenen Jahr geben soll. Für einige Experten sieht das Ganze nicht wie eine typische Attacke von Geheimdienst-Hackern aus – diese zeichneten sich meist durch ein hohes technisches Niveau aus und wollten auch nicht entdeckt werden. „Den Aufenthaltsort von Internet-Hackern zu bestimmen, kann so schwer sein, wie einen Wackelpudding an die Decke zu nageln“, sagt IT-Sicherheitsexperte Graham Cluley.

Womöglich handelt es sich auch um Trittbrettfahrer. Zunächst versuchten die Hacker nämlich, Geld von Sony zu erpressen, das belegen interne E-Mails, die sie selbst im Internet veröffentlichten. „Bezahlen Sie, oder Sony Pictures wird als Ganzes bombardiert“, hieß es dort in etwas holprigem Englisch. „The Interview“ wurde erst später zum Thema.

Dem Studio fiel die Entscheidung über den Film so schwer, dass es sie in einem einzigartigen Schritt den Kinos überließ. Dass er nun nicht startet, bedeutet für Sony einen hohen Verlust. Das Budget lag laut USMedienberichten bei rund 40 Millionen Dollar, mit den entgangenen Einnahmen an den Kinokassen könnte der Schaden nach Einschätzung von Branchenexperten bei bis zu 100 Millionen Dollar liegen.

Die „Washington Post“ bezeichnete die Attacke und die Reaktion darauf als ein „kollektives Desaster“. Schon jetzt habe sich der Fall auf andere Filmprojekte ausgewirkt, etwa einen Thriller mit Zuschauer-Liebling Steve Carell, der ebenfalls in Nordkorea spielen sollte. Das Studio New Regency habe sich entschieden, das Projekt komplett zu streichen.

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