Foto: Welzhofer

Der Krieg am Gazastreifen geht am Montag in seinen sechsten Tag. Doch in Jerusalem ist es ruhig am Sonntagnachmittag.

Jerusalem - Der Krieg am Gazastreifen geht am Montag in seinen sechsten Tag. Die israelische Armee hat unter anderem das Gebäude des Fernsehsender zerstört, das Fußballstadion beschossen und am Sonntag stirbt eine ganze Familie, als ein Wohnhaus getroffen wird. Die Armee hat es mittlerweile als „Fehler“ bezeichnet. Mehr als 500 Raketen sind seit Mittwoch auf israelischem Gebiet gelandet, die meisten in unbesiedeltem Gebiet. Das Raketenabfangsystem Iron Dome hat mehr als 300 zerstört. Auch Tel Aviv wird mittlerweile von so einer portablen „Eisernen Kuppel“ beschützt, die Bewohner waren zusammengeströmt und hatten ihre Ankunft euphorisch begrüßt, wie die Zeitung „Haaretz“ berichtete. Am Sonntag fängt Iron Dome zwei Raketen ab, ein herunterfallender Splitter trifft ein Auto in Holon bei Tel Aviv, das ausbrennt.

Ich bin am Sonntag in Jerusalem. Ich will im arabischen geprägten Osten der Stadt Helga Baumgarten treffen. Die Politikwissenschaftlerin stammt aus Stuttgart und ist seit vielen Jahren Professorin an der Bir Zait Universität bei Ramallah. Ihre Forschungsschwerpunkt: Die Geschichte und Gegenwart der Palästinenser und ihrer Gebiete.

Zuvor zieht es mich in Jerusalems Altstadt, die im milden Licht eines späten Nachmittags humusfarben leuchtet. Ich gehe ins christliche Viertel, es ist nicht viel los. Die Händler sitzen gelangweilt vor ihren Läden und die meisten sind zu träge, um ihr sonstiges „Where-are-you-from?-Ah-Germany!-Nice!-Wie-geht-es-Ihnen?-Ich-war-schon-in-Munchen-very-nice“ an mir auszuprobieren.

In der Nähe der Grabeskirche spricht mich dann doch einer an. „Alles heute zwei Euro Madame“, sagt er, und die Schwäbin in mir tritt dann doch einen Schritt näher. „Nicht viel los heute?“, frage ich. „Nein“, sagt er, „alles wegen des Krieges. Die Touristen bleiben weg. Deshalb gibt es heute Sonderpreise.“ Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Sonntags ist immer relativ wenig los im Suq – außerdem ist Nebensaison. Aber in dem Moment tut mir der Mann irgendwie leid. Ich gucke also auf die Wand mit den vielen billig gemachten Ohrringen und zeige auf ein Paar. „Ah, Sie haben einen guten Geschmack. 25 Euro“, sagt er. „Ich dachte, alles kostet heute zwei Euro!?“, sage ich. „Ja, die anderen. Aber diese hier sind wertvoller“, sagt er. Und dann ganz verschwörerisch: „25 Euro ist ein Sonderpreis für Sie. Von Amerikanern verlange ich 45 Euro.“

Sechs christliche Konfessionen teilen sich eines der wichtigsten Heiligtümer ihrer Religion

Ich will jetzt nicht weiter darauf eingehen, wie viel ich nach längeren Verhandlungen dafür zahle, es ist für den Mann immer noch ein Riesengeschäft. Wahrscheinlich erzählt er mir deshalb gleich auch noch die Eckdaten zu seiner Person. Er sei Abdul, gehöre zu den muslimischen Beduinen, und seit vielen Jahren führe er diesen Laden im christlichen Viertel. „Wir Muslime und Christen kommen gut aus, nur mit den Juden... Aber das ist eben Politik“, erklärt er mir.

Nicht miteinander auskommen – das geht in diesem Land an vielen Orten. Mit meinen neuen teuren Ohrringen gehe ich in die Grabeskirche, in der keiner mit keinem auskommt. Sechs christliche Konfessionen teilen sich eines der wichtigsten Heiligtümer ihrer Religion, das an der Stelle steht, wo der Überlieferung zufolge Jesus gekreuzigt und beerdigt wurde: Die Griechisch-Orthodoxe, die Römisch-Katholische, die Armenische Apostolische, die Syrisch-Orthodoxe, die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche und die Kopten. Jede Gemeinschaft verwaltet einen anderen Teil des Gotteshauses (die Äthiopier sitzen zum Beispiel in kleinen Häuschen auf dem Dach), jede darf zu einer anderen, fest geregelten Zeit Messe halten. Weil sich die Konfessionen nicht wirklich grün sind, und sich also nur schlecht auf gemeinsame Renovierungsarbeiten einigen können, wird das Gebäude immer baufälliger. An Ostern kann es schon mal zu Handgreiflichkeiten unter den Mönchen wegen nicht eingehaltener Gebetszeiten kommen - und den Schlüssel der Kirche bewahren deshalb seit vielen Jahrhunderten die muslimischen Familien Nusseibeh und Joudeh auf.

Dunkel, warm und weihrauchgeschwängert ist das Innere der Kirche. Gleich im Eingang kauern Menschen um den Salbungsstein, auf dem Jesus für die Grablegung vorbereitet worden sein soll. Sie liegen halb auf ihm, küssen ihn, murmeln Gebete. Weiter drinnen windet sich eine lange Schlange Pilger um die Grabkapelle und wartet auf Einlass zum Heiligsten. Wie ein Labyrinth ist die Kirche. Es geht Stufen hoch und runter, man tritt in diverse Seitenaltäre, die einen glitzernd, voller orthodoxer Ikonen, die anderen nur nackter Stein. Stimmengewirr weht durch die Kirche, ein Geräusch wie wenn man früher im Freibad unter Wasser tauchte. Dann dringt klares Glockengeläut durch diesen aus Gemurmel gewebten Teppich. Die römisch-katholischen Mönche und Schwestern sind jetzt an der Reihe. Mit Kerzen und lateinischen Wechselgesängen ziehen sie durch die Kirche. Es klingt irgendwie tröstlich.

Später dann spreche ich in Ostjerusalem im American Colony Hotel, einem der schönsten Hotels Jerusalems, mit Helga Baumgarten. Das Hotel wird von den Nachfahren eingewanderter Christen aus Amerika geführt und war immer wieder Ort für geheime Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern über den Frieden, unter anderem begannen hier die Gespräche, die zum Oslo-Vertrag 1993 führten. Helga Baumgarten ist nicht sehr optimistisch, dass wir bald wieder einen Frieden erleben werden. „Gehirntod auf beiden Seiten“ habe es ein Kollege von ihr treffend beschrieben.

Wer sich für das Raketenabwehrsystem Iron Dome interessiert: Philip Kuhn, Journalist der „Welt“ und derzeit ebenfalls über das „Ernst-Cramer-Teddy-Kollek-Stipendium“ in Israel, hat einen sehr informativen Bericht darüber geschrieben.