An der Sternwarte auf der Stuttgarter Uhlandshöhe herrschte am Freitag bei bester Sicht auf die Sonnenfinsternis Hochbetrieb und Partystimmung. Foto: www.7aktuell.de | Robert Dyhringer

An der Sternwarte auf der Uhlandshöhe herrschte Volksfeststimmung: Pausen wurden verlängert, die Schule mal nicht so ernst genommen, manch einer brachte gar einen Picknick-Korb zum Sonnenfinsternis-Happening mit.

Stuttgart - „Richtig geil“ findet Joseph das, was er da um kurz nach halb zehn durch das Teleskop der Sternwarte Stuttgart sieht. Die Sonne beschreibt er als „Kreis, wo ein Kringelchen fehlt“. Joseph ist 8, und streng genommen müsste er gerade die Schulbank drücken. Auch der 13-Jährige ein Stück weiter, der seinen Namen nicht nennen möchte, wird vom Vater „gedeckt“. Er habe sich heute krankgemeldet, wie er zugibt. Eine Sonnenfinsternis dürfe man sich nicht entgehen lassen. „Und seine Schule macht nichts.“

Sofi-Happening auf der Uhlandshöhe

An der Schwäbischen Sternwarte Uhlandshöhe hoch über Stuttgart herrscht eine Stimmung wie bei einem Happening. Die ersten Schlangen vor den Spezialteleskopen bilden sich bereits, als das Schauspiel noch gar nicht begonnen hat. Die Leute haben Picknickdecken mitgebracht. Es ist kein Wölkchen am Himmel. Immer mehr Menschen strömen auf die Terrasse und die Wiese davor. Joseph schaut sich interessiert bei den Hobby-Fotografen um, die ihre Apparate mit Folie schützen. „Sieht aus wie Frischhaltefolie“, stellt er fest.

Auf dem Dach des Max-Planck-Gymnasiums in Karlsruhe ein ähnliches Bild: Viele Karlsruher sind der Einladung der Astronomischen Vereinigung gefolgt, das Himmelsschauspiel in der dort eingerichteten Sternwarte mitzuerleben. Auch viele Schüler und Lehrer des Gymnasiums sind da - hier aber vermutlich „legal“.

Die im Handel zuletzt rar gewordenen „Sofi“-Brillen werden solidarisiert und herumgereicht. Andere entdecken das Prinzip der Lochkamera wieder und bilden das Schauspiel auf einem weißen Blatt Papier ab. Es tauchen sogar „Sofi“-Brillen von 1999 auf. An den Tag der vergangenen totalen Sonnenfinsternis über Stuttgart erinnern sich heute viele. „Ich hab im Regen gestanden“, erzählt Andreas Eberle, der Vorsitzende des Sternwarte-Vereins in Stuttgart. Als „Sofi“-Fan habe er „die Totale“ 2006 in der Türkei erlebt. Vereinskollege Siegfried Weidner erlebte das 2008 in Sibirien.

Um 10.02 Uhr hat über Karlsruhe der Mondrand die Sonnenmitte erreicht. Der Informatiker und Hobby-Astronom Thomas Stingel zeigt den Besuchern, wie sich die Sonnenfinsternis im Teleskop der Sternwarte zeigt: Das vergrößerte Bild der Sonne wird auf ein Papier projiziert, so dass sogar ein Sonnenfleck erkennbar wird.

Um 10.37 Uhr sind Stuttgart und Karlsruhe in der maximalen Phase

Um 10.11 Uhr wird die Umgebung merklich dunkler. Auch wird es kühler. Aber Thomas Reddmann strahlt: „Das ist ein besonderer Tag“, sagt der Vorsitzende der Astronomischen Vereinigung. „Ich bin glücklich, dass wir das Ereignis an einem wolkenfreien Himmel erleben können.“, Reddmann erklärt Besuchern den Blick durchs Spiegelteleskop: Die schwarze Mondscheibe hat sich vor die rote Sonne geschoben. An ihrem unteren Rand ist eine rote Ausfransung zu erkennen. Dort ist gerade eine Protuberanz im Gange, eine Sonneneruption. „Hier zeigt die Sonne ihre wilde Seite“, erklärt der Wissenschaftler.

Um 10.37 Uhr ist in Stuttgart und Karlsruhe die maximale Phase der Finsternis erreicht. „Das ist einfach toll, dieses astronomische Ereignis jetzt live zu erleben“, sagt Physiklehrerin Daniela Rappa. Mit ihren Schülern hat sie den besonderen Tag vorbereitet. Dennoch wird die Lehrerin mit Fragen bestürmt. Der Himmel über dem Horizont wirkt grau und diesig, das Blau ist verschwunden. Nachdenklich beobachtet der 16-jährige Schüler Nicolaus Herrmann: „Es ist, als wäre die Welt hinter den Bäumen zu Ende, als wäre sie abgeschnitten.“

Um 10.51 Uhr entfernt sich der Mond wieder, tritt aus dem Leuchten der Sonne heraus. Die Besucher der Sternwarte schauen gespannt durch ihre Spezialbrillen oder halten Folien vor ihr Smartphone, um schnell noch ein Foto zu machen. Stingel war schon in Australien, um eine totale Sonnenfinsternis zu beobachten. „Da hatten wir Pech, weil eine Wolke das Schauspiel verborgen hat. „Heute sind Freunde in Spitzbergen, um dort die totale Finsternis zu erleben. Aber ich denke, da ist das Wetter nicht so gut wie bei uns.“ Im Kalender hat sich Thomas Stingel schon einen Termin vorgemerkt: Am 21. August 2017 will er in den USA sein, zur nächsten totalen Sonnenfinsternis.