Auch Angela Merkel ist beim EU-Sondergipfel in Brüssel dabei. Foto: POOL belga

Der EU-Sondergipfel beschließt in rekordverdächtigem Tempo die politischen Leitlinien für die Verhandlungen des Brexit.

Brüssel - „Ich trage keine genagelten Schuhe“, sagte Österreichs Bundeskanzler Christian Kern beim Betreten des Ratsgebäudes in die Kameras. Dieser Satz verrät viel über diesen Sondergipfel der EU 27 zum Brexit. Die Regierungschefs der künftigen EU warten auf den Startschuss für die Verhandlungen mit London mit dem Gefühl, die komfortablere Ausgangsposition zu haben.

In Brüssel macht sich eine ungekannte Beschwingtheit bemerkbar, die Raum lässt für flapsige Bemerkungen. Die Hauptstädte der EU-Mitgliedsstaaten wirken gerade wie eine verschworene Truppe. Wenn bei anderer Gelegenheit Einigkeit häufig bloß beschworen wurde, ist es jetzt anders: In Sachen Brexit passt gerade kein Blatt zwischen die Mächtigen der EU. In rekordverdächtigem Tempo von einem Monat haben sich die Mitgliedsstaaten auf das politische Korsett für die Brexitverhandlungen geeinigt, die so genannten Leitlinien.

Leitlinien für Brexit-Verhandlungen beschlossen

Ein hochranginger EU-Diplomat kann sich die hämische Bemerkung nicht verkneifen: „Und Großbritannien hat ganze neun Monate gebraucht, um den Austrittsantrag zu formulieren.“ Noch nie habe er Netto-Zahler- und Netto-Empfänger-Länder so nah beieinander gesehen wie in diesen Wochen.

Angela Merkel sieht es so ähnlich, formuliert es nur zurückhaltender: Man wolle auch künftig gute Beziehungen zu Großbritannien, „aber wir wollen auch als 27 unsere Interessen gemeinschaftlich vertreten.“ Für ihre Verhältnisse euphorisch setzt sie noch hinzu: „Das ist bislang extrem gut gelungen.“ Es vergingen dann auch keine fünfzehn Minuten nach Eröffnung des Gipfels durch Ratspräsident Donald Tusk, dass sein Sprecher twittern konnte: „Die Leitlinien sind beschlossen.“

Es gab nicht einmal mehr Wortmeldungen zu den sieben Seiten Text, die die Unterhändler zuvor über mehrere Runden ausgehandelt hatten. Am wichtigsten ist der EU 27 die Festlegung mit den Leitlinien, dass in zwei Etappen verhandelt wird.

Es soll über Geld gesprochen werden

In einer ersten Phase, die nach der britischen Unterhauswahl Anfang Juni beginnen kann, soll über die Abwicklung der gemeinsamen Beziehungen zwischen Brüssel und London gesprochen werden. Es geht also darum, wie die Rechte der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien zu wahren sind und wie der Status der zwei Millionen Briten aussieht, die auf dem Kontinent wohnen.

In dieser ersten Phase soll auch über Geld gesprochen werden. „Das Vereinigte Königreich wird einen Preis zu zahlen haben“, droht Frankreichs Präsident Francois Hollande. Welche Summen müssen für Londons Anteil an den Pensionsverpflichtungen für EU-Beamte fließen? Was muss London zahlen, um sich von den Verpflichtungen freizukaufen, die das Königreich als EU-Mitglied für die Zukunft eingegangen ist?

Dabei geht es auch um die beiden EU-Agenturen, die in England ihren Sitz haben: die Arzneimittelagentur EMA und die Bankenagentur EBA. Da bahnt sich offenbar Streit an: Denn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der am Mittwoch zusammen mit dem Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, bei der britischen Premier Theresa May zum Abendessen war, hielt spitz fest: „In London meinen einige Minister, die Agenturen könnten in London bleiben - das ist falsch.“

Wie sieht das Abkommen aus?

So macht sich Frankfurt Hoffnungen auf die Bankenagentur EBA. Auch andere Städte buhlen um die Ansiedlung. Schnell wird es aber keine Entscheidung geben. Erst beim Gipfel im Juni werden die Kriterien und das Verfahren für die Vergabe der Agenturen festgelegt. In der zweiten Phase der Verhandlungen soll dann über die Gestaltung der Zukunft gesprochen werden.

Wie sieht das Freihandelsabkommen aus, das die Wirtschaftsbeziehungen nach dem Austritt Londons aus dem Binnenmarkt regeln soll? Wie wollen London und Brüssel in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik über 2019 hinaus zusammen arbeiten? Bewusst offen hält sich Brüssel die Frage, wann die zweite Phase der Verhandlungen beginnen könnte. In den Leitlinien heißt es lediglich, dass dafür genügend Fortschritte in der ersten Phase erzielt werden müssten.

Ausschlag gebend werde dafür die Einschätzung von Chefunterhändler Barnier sein, der künftig bei allen Gipfeln der EU der 27 dabei sein soll. Wie zu hören ist, drängen etwa die Niederlande darauf, möglichst schnell in Phase zwei einzusteigen. Ein hoher EU-Beamter bremst: „Wenn es gut läuft, ist es frühestens Ende des Jahres so weit.“