Unter dem Stichwort „mHealth“ – mobile Gesundheit – könnten unterschiedlichste Gesundheitsleistungen auf Smartphones oder Tablet-Computern heruntergeladen werden. Beispielsweise lassen sich mit Hilfe mancher Apps der Blutdruck überwachen. Foto:  

Apps können heute mehr als Schritte zählen: Sie erleichtern die Betreuung von chronisch Kranken und helfen bei unter anderem bei der Insulintherapie von Diabetikern. Doch inzwischen ist der Markt für Gesundheits-Apps selbst für Experten kaum zu überblicken. Wie der Laie dennoch seriöse Medizin-Apps finden kann.

Berlin/Freiburg - Die App kennt die Antwort: Darauf, ob man nur ein empfindliches Näschen hat oder sich der ständige Schnupfen als Allergie entpuppt. Ob die niedergedrückte Stimmung schon die Anzeichen einer Depression sind und ob der Puls nicht doch etwas zu schnell ist, dafür dass man eigentlich nur auf dem Sofa sitzt. Das Smartphone – so scheint es – wird immer mehr zum digitalen Arzthelfer.

Praktisch oder Riskant? Darüber wird in der Medizinwelt viel diskutiert. Beim Kongress „Medizin 4.0“ beispielsweise, den kürzlich die Hanns Martin Schleyer Stiftung und die Hans Nixdorf Stiftung in Berlin ausgerichtet haben. Und wo Ärzte und Wissenschaftler einen Tag lang diskutierten, wie sich aus den Milliarden Gesundheitsdaten, die sich in der digitalen Welt anhäufen, einen möglichst großen Nutzen ziehen lassen könnte – etwa für bessere Vorsorgeprogramme oder individuellere Behandlungen.

Der Vorteil der Apps: Das Gesundheitsbewusstsein wird gefördert

Das Selbstmanagement der Therapie per Gesundheits-App ist einer der größten Fortschritte digitaler Medizin: Zwischen 80 000 und 90 000 solcher Anwendungen sind auf dem Markt – und es kommen monatlich Hunderte dazu. Unter dem Stichwort „mHealth“ – mobile Gesundheit – könnten unterschiedlichste Gesundheitsleistungen auf Smartphones oder Tablet-Computern heruntergeladen werden. Da gibt es Apps, die Allergiker durch die Pollensaison begleiten, die verdächtige Muttermale auf ihr Hautkrebsrisiko abscannen oder die Rauchern die Lust an der Zigarette nehmen wollen. Beliebt sind auch Apps für Diabetiker, mit denen sich die Dosis Insulinmenge zum Spritzen berechnen lassen.

Das Handy wird so genutzt, um Krankheitsrisiken vorzubeugen oder Beschwerden der Kranken bei der Therapie zu dokumentieren. Der Vorteil: „Das Gesundheitsbewusstsein wird gefördert, die Nutzer informieren sich über Krankheitsrisiken und halten Kontakt zum Arzt“, sagt Martin Boeker von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der Leiter der Arbeitsgruppe Medizinische Informatik beschäftigt sich seit 2010 mit Apps und Co. „Die Bereitschaft, solche Apps zu nutzen, ist bei Verbrauchern groß“, sagt er. In einer wissenschaftlichen Untersuchung, die das Studienzentrum des Universitätsklinikums Freiburg 2015 herausgebracht hat, heißt es: „Nach einer Befragung von Versicherten sollen bereits 41 Prozent wenigstens eine Gesundheits-App nutzen.“

Wenn eine App den Namen Gesundheit oder Medizin trägt, ist sie noch lange nicht seriös

Bisher, so die Freiburger Wissenschaftler, gehen Verbraucher auf eigene Faust vor: Sie durchsuchen die Stores nach Stichworten und wählen aus den angezeigten Treffern eine App aus. Dabei orientieren sich meist am Preis, an den Bewertungen und Kommentaren anderer Nutzer sowie der Zahl der Downloads – wohl auch am Namen, doch wenn eine Anwendung den Namen Gesundheit oder Medizin trägt, ist sie noch lange nicht seriös. Über die Begrifflichkeit entscheidet nämlich jeder Hersteller selbst. Urs-Vito Albrecht warnt: „Viele Apps können die Anwender verwirren, fehlinformieren und in falscher Sicherheit wiegen.“

Der Gesundheitswissenschaftler vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik an der Medizinischen Hochschule Hannover hat im hat im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprojektes eine Studie mit herausgebracht, die erstmals einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps geben soll. Mit dem Ergebnis: „Qualitativ hochwertige Gesundheits-Apps, die valide Informationen bieten sowie ihre Zweckbestimmung verlässlich und sicher erfüllen, sind eher die Ausnahme.“

Wer sich nur auf die App verlässt, riskiert eine ungewollte Schwangerschaft

Laut dem Freiburger Experten Martin Boeker kann zwar grob unterschieden werden zwischen Apps, die Ärzte, Pflegekräfte sowie Patienten in der Bewältigung der Krankheit unterstützen – sowie Apps, die helfen können, gesund zu bleiben. „Doch eine verbindliche Definition gibt es nicht.“

So gibt es durchaus Apps, die für die Diagnostik und Therapie gedacht, aber nicht als Medizin-App gekennzeichnet sind. Häufiger finden sich Anwendungen, die als Medizin-Apps gekennzeichnet sind, deren gesundheitsfördernde Verlässlichkeit aber bezweifelt werden muss.

Bundesgesundheitsminister Gröhe will die Unternehmen in die Pflicht nehmen

Die sogenannte Zyklus-App für Frauen ist so ein Beispiel: Mit ihr soll sich der nächste Eisprung vorhersagen lassen, so dass die Nutzerin nicht mehr auf die Pille angewiesen ist, sondern natürlich verhüten kann. Tatsächlich beruhen die Berechnungsmodelle auf Algorithmen, die nicht immer dem natürlichen Zyklus einer Frau entsprechen. Sprich: Wer sich nur auf die App verlässt, riskiert eine ungewollte Schwangerschaft.

Tatsächlich ist der Nutzen vieler Apps selbst für Experten schwer zu beurteilen, sagt Urs-Vito Albrecht von der MH Hannover. „Es gibt zwar eine Reihe von Studien zu diesem Thema, die aber meist nur einzelne Anwendungen bewerten.“ Obendrein sind die Ergebnisse kaum zu vergleichen. Nun will Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU) die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Man brauche sichere europäische Standards, sagte er vor wenigen Wochen dem „Spiegel“. Es geht nicht nur um die Gesundheit der Verbraucher, sondern auch um höchst sensible Daten, die Nutzer solcher Apps preisgeben – ohne zu wissen, was der Anbieter damit anstellen kann. Gröhe will App-Hersteller, Kassen, Ärzte, Datenschützer und IT-Experten zu einem Fachdialog einladen, um gemeinsame Standards zu entwickeln.

Bis es soweit allerdings ist, bleibt Verbrauchern nichts anderes übrig, als sich intensiv mit der App auseinanderzusetzen und selbst darauf zu achten, ob die App nun geeignet ist oder nicht, sagt Albrecht. „Und nicht gleich den Download-Knopf drücken – auch wenn das viel komfortabler wäre.“

Wie findet man eine seriöse Gesundheits-App?

Tipp 1: Bevor Nutzer eine App installieren und verwenden, sollten sie sich folgende Fragen stellen: Macht der Hersteller klare Angaben zum Zweck der App? Beschreibt er nachvollziehbar, was die Funktion ist, wie diese erfüllt wird und auf welcher Grundlage sie beruht?

Tipp 2: Ein Hinweis auf die Seriosität sind auch Angaben dazu, wer überhaupt für die App verantwortlich ist und wer sie finanziert hat. Handelt es sich beispielsweise um Unternehmen oder Krankenkassen, die einen guten Ruf zu verlieren haben, kann dies als Kriterium bewertet werden, das für eine App sprechen kann.

Tipp 3: Eine App sollte nur verwendet werden, wenn diese über eine vollständige und verständlich formulierte Datenschutzerklärung verfügt und die eingeforderten Zugriffsrechte benennt. Sobald eine App mehr Zugriff verlangt als notwendig erscheint, sollte er von einer Verwendung absehen, raten Experten.

Tipp 4: Risiken sollten genau abgewogen werden: Was passiert, wenn die App die Werte falsch berechnet? Wenn es sich bei einem Schrittzähler um Ungenauigkeit handelt, ist das kein Problem. Gefährlich wird es, wenn es sich um die Insulinmenge handelt, die sich ein Diabetiker spritzen möchte. Ein hohes Risiko stellen generell Apps dar, die vorgeben, eine Diagnose ermitteln zu können.

Tipp 5: Sich nicht nur auf die CE-Kennzeichnung verlassen: Diese zeigt an, dass der Hersteller die grundlegenden Anforderungen der EU erfüllt. Diese Anforderungen betreffen eher die Sicherheit. Über einen Nutzen sagt die CE-Kennzeichnung wenig aus. Außerdem kann der Anbieter sich im Kleingedruckten leicht eine Hintertür offen lassen, etwa mit dem Satz: „Diese App ist nicht zur Therapie oder zur Diagnose von Krankheiten geeignet.“ Dieser entbindet den Anbieter der App von jeder Haftung.

Tipp 6: Risiken sollten genau abgewogen werden: Was passiert, wenn die App die Werte falsch berechnet? Wenn es sich bei einem Schrittzähler um Ungenauigkeit handelt, ist das kein Problem. Gefährlich wird es, wenn es sich um die Insulinmenge handelt, die sich ein Diabetiker spritzen möchte. Ein hohes Risiko stellen generell Apps dar, die vorgeben, eine Diagnose ermitteln zu können.