Haderlumpen unter sich: Ben Mendelsohn (li.) und Michael Fassbender in „Slow West“ - mehr Filmeindrücke in unserer Bildergalerie Foto: Verleih

Spätwestern übers Leben- und Sterbenlassen in der Prärie: John Maclean reiht sich in die Regisseursriege, die den Western als Ort von Überlebenskampf, Faustrecht und Selbstjustiz entlarvt und entzaubert - und er findet eine eigene Perspektive.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Slow West"

Mit Koffer und Wildwest-Handbuch schlägt sich der 16-jährige Schotte Jay 1870 durch die nordamerikanische Wildnis und sucht seine große Liebe Rose. Er gerät an den Desperado Silas, der sich ihm als Führer und Beschützer andient, aber seine eigene Agenda hat.

Gut und böse verschwimmen, John Maclean folgt in seinem Spätwestern Sam Peckinpah („Sacramento“, 1962), John Ford („Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, 1962), Sergio Leone („The Good, The Bad And The Ugly“ 1966), Arthur Penn („Little Big Man“, 1970), Clint Eastwood („Erbarmungslos“, 1992), der TV-Serie „Deadwood“ (2004) mit ihren Verwerfungen im schlammigen Siedler-Kaff im Indianerland.

Auch Maclean entlarvt und entzaubert den Westen als Ort von Überlebenskampf, Faustrecht, Selbstjustiz, und er findet eine eigene Perspektive: Getreu dem Titel erzählt er lakonisch und ruhig („slow“) vom Leben- und Sterbenlassen in der Prairie, wo es nur eines im Überfluss gibt: Zeit. Die ist kostbar, denn Hektik endet auf diesem Terrain oft tödlich.

Michael Fassbender hat von Clint Eastwood nur die Desperado-Hülle geliehen

Desertierte US-Soldaten jagen auf eigene Rechnung Indianer und schlachten sie ab, von der Sklaverei befreite Afroamerikaner sitzen verloren in der Landschaft und singen Gospels, am Trading Post gibt es nicht wie erhofft eine vernünftige Mahlzeit, sondern nur blaue Bohnen, mörderische Desperados leben wie eine Freiluft-Hippie-Kommune und nehmen polnische Kinder auf, die frisch Waisen geworden sind.

Michael Fassbender hat von Clint Eastwood nur die Desperado-Hülle geliehen, die regungslose Coolness eines Mannes, der alles gesehen und nicht zu verlieren hat; er gibt ihm aber das Menschliche zurück: Fehlbarkeit und Verführbarkeit, die auch einen wie ihn zu Patzern zwingen. Der junge Kodi Smit McPhee reibt sich als Jay mit ausgefahrenen Stacheln an dieser zweifelhaften Vater-Ersatzfigur, Ben Mendelsohn macht als schmierig-eloquenter Banden-Chef im Fellmantel da weiter, wo er in der TV-Serie „Bloodline“ aufgehört hat als schwarzes Schaf einer vermeintlich perfekten Familie.

Der Kontrast zur nordamerikanischen Bilderbuch-Landschaft könnte nicht größer sein, und Maclean und sein Kameramann Robbie Ryan („Fish Tank“) nutzen ihn bewusst: Sie zeigen keinen realen Ort, sie bebildern eine Sehnsucht, die Heimatlose antreibt und den Mythos bis heute befeuert; sie lassen die Fantasie fliegen, was auf diesem paradiesischen Neuland menschenmöglich hätte sein müssen und nicht war.

Wie eine Insel wirkt die stark stilisierte Holzhütte in der Prärie, in der die flüchtige Rachel wohnt und wo die Gier eskaliert.

Unsere Bewertung zu "Slow West": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert! 

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