Der Horror vom Breitscheidplatz: 12 Menschen starben bei dem islamistischem Anschlag. Foto: dpa

Die Skandale in Sicherheitsbehörden führen zu einer gefährlichen Erosion. Das Vertrauen in die Kontrollmechanismen der Demokratie wird erschüttert, kommentiert unsere Redakteurin Katja Bauer.

Berlin - Manche Gespräche möchte man sich nicht vorstellen müssen. Zum Beispiel dieses: Guten Tag, mein Name ist Geisel, ich bin Innensenator in Berlin. Leider muss ich Ihnen etwas Neues über den Anschlag auf dem Breitscheidplatz mitteilen, bei dem Ihre Frau gestorben ist. Unsere Polizei hat einen Fehler gemacht. Hätten alle richtig gehandelt, hätte der Mörder Ihrer Frau am Tattag womöglich keinen Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt gelenkt. Warum wir diesen Fehler erst jetzt gefunden haben, fünf Monate nach der Beerdigung? Weil die Polizisten ihn wohl vertuscht haben. Ob da noch was kommen kann? Ja, da fragen Sie mich was. Wir wissen noch nicht, ob das alles ist.

So weit, so grauenhaft. Und: so bekannt. Die Liste der Fälle, in denen der Staat mit seinen Sicherheitsbehörden und Kontrollmechanismen versagt, ist lang. Und sie wird länger. Derzeit haben wir es mit Fällen zu tun, bei denen man sich fragt: Ist das echt oder ein fiktionales Drehbuch?

Seit Mittwoch muss sich die Republik mit dem Faktum beschäftigen, dass Polizisten im Fall Amri nicht nur versagten, sondern auch noch vertuschten. Bei dem Täter, der 14 Identitäten hatte, ist dies nur die unglaublichste Wendung der Geschichte.

Das Grundrauschen der Verunsicherung nach dem NSU

Sie folgt auf die vom „Soldaten A.“ – in der es darum geht, dass in der Armee dieser Republik mutmaßlich eine rechte Terrorzelle mit Zugriff auf Waffen unterschiedlichster Art eine Reihe von Anschlägen plante. Ans Licht kam der Fall im Ausland. Hierzulande schaffte es der Mann, die Behörden von seiner Identität als Flüchtling zu überzeugen – eine unglaubliche Facette innerhalb eines unglaublichen Falles.

Das alles spielt sich ab vor einem Grundrauschen der Verunsicherung. Als 2011 die Neonaziterroristen des NSU aufflogen, sprach die Kanzlerin von einer „Schande für unser Land“. Sie wusste nicht, dass es viel schlimmer kommen würde: mit zutiefst verstörenden Nachrichten von entfesselt agierenden Geheimdiensten, von plötzlich verstorbenen Zeugen, vom Verschwinden von Beweisen.

Nicht den Vereinfachern glauben

All das erschüttert das Vertrauen der Bürger in ihren Staat. Es geht dabei nicht allein um eine Emotion. Dass Fehler passieren, auch in Sicherheitsbehörden, gerade, wenn unter hohem Druck gearbeitet wird, kann jeder nachvollziehen. Aber wenn sich die Zahl der Fälle häuft, wenn an vielen Stellen auf unterschiedliche Weise Fehler passieren, dann schafft das tiefe Verunsicherung. Und wenn man dann auch noch den Eindruck bekommen muss, dass die Aufklärung womöglich hintertrieben wird, dann ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie berührt. Wer nicht mehr an die Selbstreinigungskräfte dieser Staatsform glauben kann, für den ist der Weg nicht weit, das System im Ganzen anzuzweifeln. All das geschieht in einer Situation, in der wir auf verschiedenen Ebenen die Fehlstellen in unserer Demokratie entdecken. Sicher, andere Staatsformen haben in Sachen Aufklärung nicht besser, sondern schlechter funktioniert. Aber das Schlimmere macht ja das Schlimme nicht besser.

Was also tun? Eine schwierige Frage, die die Politik nicht pauschal wird beantworten können. Es ist sicher ein guter, rationaler Impuls, trotz allem den Vereinfachern nicht zu glauben. Es lohnt, genau hinzuschauen, jeden einzelnen Fall zu betrachten – ein mühsames Geschäft. Untersuchungsausschüsse betreiben es, Sonderermittler, Blogger, Journalisten. Politiker könnten an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie in solchen Zeiten ihre Parteibücher wegsteckten und sich der Sache widmeten. Das mag, besonders im Wahlkampf, ein frommer Wunsch sein. Aber vielleicht hilft es, sich vorzustellen, man rede jetzt nicht in eine Kamera oder im Plenum, sondern mit dem Witwer vom Breitscheidplatz. Denn ohne Glaubwürdigkeit kann man die Demokratie an den Nagel hängen.