Jung, fromm und türkisch-schwäbisch: Muhammed Bilal Gürücü kann all dies mühelos verbinden. Foto: factum/Granville

Die Ditib-Moscheegemeinden wollen künftig lieber Vorbeter mit deutschem Pass, statt diese aus der Türkei zu importieren. Der Stuttgarter Muhammed Bilal Gürücü ist einer der ersten und absolviert eine Art Vikariat in der Ulu-Moschee.

Sindelfingen - Zwischen den Schülern, die Muhammed Bilal Gürücü durch die Sindelfinger Moschee führt, fällt der 27-Jährige in Jeans und Turnschuhen nicht auf. In Schwäbisch erklärt er den Jugendlichen die Einrichtung des muslimischen Gotteshauses und die Gründzüge des Islam. Kaum älter als die Teenager wirkt der junge Mann. Doch wenn er sich anschließend das weiße Gewand des Vorbeters überstreift und den Sarik aufsetzt, die traditionelle Kopfbedeckung eines Imams, verwandelt er sich in eine ehrfurchtsvolle Gestalt. Als solche sehen ihn auch die meisten Muslime, die zum Beten kommen. Abwechselnd mit dem ersten Imam der Moschee leitet der Praktikant Gürücü täglich die fünf Gebete, die den Muslimen vorgeschrieben sind. An hohen Feiertagen können da mal bis zu 1500 Beter sein.

Hodscha nennen sie Gürücü ehrfurchtsvoll – das ist die türkische Bezeichnung für einen Vorbeter, Imam die arabische. Gürücü ist der erste Imam in Sindelfingen, der fließend Deutsch spricht. Anders als die bisherigen Vorbeter, die von der türkischen Religionsbehörde Diyanet aus der Türkei geschickt wurden, ist der junge Mann in Deutschland geboren und aufgewachsen – quasi in der Nachbarschaft in Stuttgart-Vaihingen. Die Ulu-Moschee in Sindelfingen kennt er schon lange. „Als Kind bin ich mit meinen Eltern oft hier gewesen, vor allem an Feiertagen. Denn sie ist die schönste Moschee weit und breit.“ Dass er hier einmal Iman werden würde, das war jedoch nicht vorgezeichnet. Zunächst absolvierte Gürücü nach der Mittleren Reife eine Lehre zum Kfz-Mechatroniker in Stuttgart. Sein Glaube war ihm schon damals wichtig. „Ich habe meinen Gebetsteppich in der Werkstatt ausgerollt.“ Sein Chef und die Kollegen hätten das problemlos akzeptiert.

Baff sei der Chef allerdings gewesen, als er ihm am Ende der Lehrzeit eröffnete, das Abitur nachzuholen, um islamische Theologie zu studieren. Möglich machte dies ein Stipendiats-Programm, das die Diyanet-Stiftung mit dem Ditib-Verband vor neun Jahren aufgelegt hat. Darin haben sich bundesweit mehr als 900 Moscheegemeinden zusammengeschlossen. Ziel ist, in Deutschland sozialisierten jungen Menschen ein Theologiestudium zu ermöglichen. „Wir haben erkannt, dass wir Imame brauchen, die beide Sprachen können“, sagt Bekir Alboga, der Generalsekretär von Ditib Deutschland. „Wir wollen die Zuwanderer der ersten Generation erreichen, aber auch die der dritten und vierten Generation.“ Und die sprächen meist besser Deutsch als Türkisch. Zudem brauche man in den Moscheen Ansprechpartner, „die mit Deutschen auf Augenhöhe kommunizieren können. Denn der interreligiöse Dialog ist immer wichtiger geworden“. Voraussetzung für eine Aufnahme in den internationalen Theologiestudiengang in Ankara ist daher neben dem Abitur auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die hat Muhammad Bilal Gürücü allerdings noch nicht – und ist damit eine absolute Ausnahme. Lediglich bürokratische Probleme hätten dies bisher verhindert, sagt er. Die Beantragung eines deutschen Passes sei für ihn aber selbstverständlich.

Rund 1000 Studenten gebe es im internationalen Studiengang, sagt Bekir Alboga. Etwa 60 Absolventen, darunter 40 Frauen, befänden sich momentan in einem Praktikum in einer deutschen Moschee. „Das muss man sich vorstellen wie ein Art Vikariat“, erklärt Alboga. Auch Gürücü gehört dazu. Nebenher studiert er weiter an der Universität Tübingen, strebt den Master in Praktische Islamische Theologie für Seelsorge und Soziale Arbeit an.

Wenn er fertig ist, will er sich als offizieller Imam in Sindelfingen bewerben. Mehmet Sevik vom Vorstand der Moschee lässt keinen Zweifel dran, was er davon hält. „Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Imam aus der Türkei und einem deutschen, dann bin ich klar für den hiesigen.“ Gürücü habe einen ganz anderen Draht zu den jungen Leuten als ein Hodscha aus der Türkei, kenne deren Themen und Probleme. Bekir Alboga erhofft sich von den deutschen Religionsgelehrten, dass „sie Vorurteile abbauen“. Zum Feindbild in der Gesellschaft sei der Islam geworden, bedauert Alboga.

Das sieht der junge Sindelfinger Imam wesentlich gelassener. „Hier in der Region Stuttgart bin ich auf keine Ressentiments gestoßen.“ Und auch von einem schwierigen deutsch-türkischen Verhältnis in politisch unruhigen Zeiten, wie es der Vorstand Sevik beobachtet, kann Gürücü nichts berichten. „Ja, es gibt Fragen, aber ich erlebe keinerlei Spannungen.“