Zwei Seelen, zwei Restaurants: Di Croces neue Heimat Sindelfingen vereint auch gastronomisch Schwaben und Italien. Foto: factum/Granville

Der Weltenbummler Bernardino Di Croce ist in Schwaben sesshaft geworden. Er fühlt sich ganz als Italiener, kommt aber im Dorf seiner Ahnen nicht mehr zurecht. An Deutschland schätzt er die Vielfalt.

Sindelfingen - An seine Ankunft im Sommer 1960 in Deutschland erinnert sich Bernardino Di Croce, als wäre es gestern gewesen: „Ich war 16, kam aus einem kleinen Dorf aus den italienischen Abruzzen.“ Mit seinem Vater reiste er nach Geislingen an der Steige (Kreis Göppingen) als eine der ersten Gastarbeiter in Deutschland. Der Empfang sei wenig freundlich gewesen. „Wir kamen in einem Barackenlager für Gastarbeiter auf dem Firmengelände an. Es war umzäunt. Vier Stockbetten mit einer kleinen Waschgelegenheit in der Mitte. Es erinnerte mich an einen Film über ein deutsches Konzentrationslager, den ich gesehen hatte. Und ich dachte: ‚Hier kommst du nicht mehr raus.’“

Fast 60 Jahre ist das her. Jetzt ist Bernardino Di Croce 74 Jahre alt. In der Baracke lebt er schon lange nicht mehr, aber seit 30 Jahren wieder in Deutschland, nun in Sindelfingen. Rumgekommen ist er in der Welt. Mit 22 Jahren wanderte er nach Kanada aus, kehrte fünf Jahre später zurück nach Deutschland und machte eine Ausbildung zum Maschinenschlosser sowie eine Fortbildung bei IBM. Mitte der 1980er Jahre versuchte er einen Neuanfang in Italien, kehrte erneut nach Deutschland zurück.

Seine Kinder haben drei Staatsbürgerschaften

Wo sieht er heute seine Heimat? Diese Frage bringt den sonst so redseligen Mann zum Nachdenken. Die Antwort fällt ihm schwer. „Sindelfingen ist ein wenig meine Heimat.“ Er macht eine Pause. „Wenn ich einen Ort in Deutschland nennen soll, dann Villingen. Dort habe ich meine besten Jahre verbracht.“ In Villingen wurde Di Croce trotz seiner Jugend schnell zum Ansprechpartner der italienischen Gastarbeiter. Er dolmetschte für sie bei Behörden und Ämtern, kam im ganzen Land herum. In Villingen lernte er Mitte der 1960er Jahre seine Frau kennen. Hilde, die eigentlich aus Büsum stammt und in Villingen in einem Gasthaus jobbte. Abenteuerlustig war sie – genau wie er, zog ihm 1965 nach, als der damals 22-Jährige nach Kanada auswanderte. Ihre beiden Kinder wurden dort geboren. Sie haben die deutsche, italienische und die kanadische Staatsbürgerschaft.

Di Croce hat nur einen italienischen Pass. „Ich bin Italiener durch und durch“, sagt er . „Aber ich komme in Italien nicht mehr zurecht.“ Dort sei er den Leuten zu deutsch. „Meine Pünktlichkeit, meine schnellen Beschlüsse statt ewig zu philosophieren.“ Als er 1984 noch einmal in der alten Heimat anfangen wollte, erlebte er, wie die Stimmung in Deutschland kippte. „Plötzlich waren alle gegen Ausländer.“ Mit Rückkehrprämien versuchte der deutsche Staat, die einst angeworbenen Gastarbeiter zum Wegzug zu bewegen. Er persönlich habe wenige Anfeindungen erlebt, sagt Di Croce. „Aber ich war damals Ausländersekretär bei der Gewerkschaft und habe viele Geschichten zu hören bekommen.“ Zwei Jahre hielt er es aus in seinem Heimatdorf, lauschte den Gesprächen der Nachbarn über das Wetter und die Ernte. Seine Erfahrungen, die er in der großen weiten Welt gemacht hatte, interessierten nicht. Und auch in seinem Job bei einer italienischen Gewerkschaft kam er nicht klar. „Das war nicht meine Arbeitsweise.“

Mehrere Vereine gegründet

Di Croce ist kein Mann, der unzufrieden irgendwo abhängt. Er ist ein Macher. Also packte er Frau, Kinder und Möbel wieder ein. Dieses Mal landete er in Sindelfingen. Wieder fand er einen Job bei der Gewerkschaft, organisierte Fortbildungen. In der Arbeit habe er seine Heimat gefunden, sagt er. „In den vielfältigen Kontakten zu Deutschen, Italienern und Türken, zu Arbeitern und Professoren.“ Als er vor elf Jahren in Rente ging, verlagerte er seine Energie in Vereine, die er gründete: einen italienischen Verein etwa und den „Verein für Migration und Integration“ in Sindelfingen. Denn integriert seien „90 Prozent“ der Italiener der ersten Generation in Deutschland bis heute noch nicht richtig, meint Di Croce. Diese lebten in ihrer eigenen Welt, seien „hier nie richtig angekommen“.

Er kokettiert gerne mit der Rolle des Italieners

Ganz anders sieht sich Bernadino Di Croce selbst. Die Anerkennung war für ihn der Schlüssel zur Integration. „Heimat ist da, wo ich Anerkennung erhalte. Dort, wo ich viele verschiedene Menschen treffe. Da fühle ich mich wohl und heimisch. Als ganz junger Mann habe ich in Villingen als Dolmetscher für meine Landsleute viel Anerkennung bekommen.“ In Kanada sei er in seinem Beruf als Maurer anerkannt gewesen. „Das ist dort anders als in Deutschland, wo Bauberufe kein hohes Ansehen haben.“ Heimat – das ist für den 74-Jährigen daher „nicht an einer bestimmten Region“ auszumachen. Heimisch konnte er sich überall fühlen: als Kind in den Abruzzen, später in Villingen, dann in Kanada und heute eben in Sindelfingen. Und der Italiener liebt das Spiel mit Klischees und verschiedenen Identitäten. „Ich bin ein Schauspieler. Den Deutschen spiele ich gerne den Italiener vor, kokettiere damit.“ Das Leben in Deutschland sei deshalb einfacher für ihn. „Hier gibt es auch mehr Vielfalt als in meinem italienischen Dorf.“