Liebt noch immer die große Geste: Jim Kerr, Sänger und Frontmann der schottischen Rockband Simple Minds Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ihren größten Hit haben alle noch im Ohr, auch wenn 30 Jahre vergangen sind. Wie also könnte man sie vergessen? Am Montagabend spielte die schottische Band Simple Minds vor 1 200 Fans im Theaterhaus Stuttgart.

Stuttgart - Bevor Jim Kerr zum Mikrofon greift und singt: „Let the Day begin“ – ein Song, den sich die Simple Minds von der Band The Call geliehen haben – ist da vor allem eines: Licht.

Die Band aus Glasgow, gegründet 1978, kommt mit einer Lightshow ins Theaterhaus Stuttgart, wie man sie dort schon lange nicht mehr gesehen hat: Unzählige Spots und Laser verwandeln die Bühne in eine Kathedrale, eine funkelnde, sich immer wieder aufs Neue verwandelnde Mikadowelt. Unerwartete Konstellationen flammen auf, später werden kreisende Strahlen von Bühnennebeln marmoriert, Fächer aus leuchtendem Neon öffnen sich vor einer monochromen Architektur.

Die Simple Minds lieben den großen Auftritt – seit jeher. Sie sind bekannt für melodischen Pathos und jene Zutaten, die Pop und Rock in den 1980er Jahren bestimmten: Synthesizer, elektronische Schlagzeugklänge, hymnische Songs. Und für all dies stehen sie auch 2015 noch. Konsequent haben sie ihr jüngstes Album, erschienen im vergangenen November, betitelt: „Big Music“ heißt es.

Jim Kerr steht im Mittelpunkt dieser so gar nicht sparsamen Inszenierung. Er ist nun 55, seine Stimme hat in all den Jahren mit den Simple Minds nichts eingebüßt – noch immer ist sie markant, kräftig, facettenreich, das eigentliche Erkennungsmerkmal der Band geblieben. Und Kerr lebt seine Vorliebe für große Dramen auf der Bühne nach wie vor ganz aus: Er trägt Jackett, zunächst ein dunkles, später dann ein kariertes, um seinen Hals flattert luftig ein dünnes rotes Tuch. Er tritt lässig auf, stößt mit dem ekstatischen Zeigefinger in die Luft hinauf oder legt sich die Hand auf das Herz.

Charlie Burchill an seiner Seite ist das zweite verbliebene Gründungsmitglied der Band, und seine Gitarre ist ihr zweites unverwechselbares Erkennungsmerkmal: Elektrisierend schneidet sie in die Songs hinein – noch größere Gesten, noch größeres Pathos.

Am Montagabend sind die Simple Minds zu siebt: Kerr am Mikrofon, Burchill an der Gitarre, dazu Bass, Keyboard, Schlagzeug. In der ersten Hälfte ihres Konzertes werden sie von der rothaarigen Sängerin Catherine AD begleitet, die ein auch ein eigenes Stück singt, sich am Keyboard begleitet.

Den zweiten Teil des Abends dann eröffnet Sarah Brown – eine schwarze Soulsängerin, fast eine Tina Turner, und ein klarer Gegenpol zu ihrer melancholischen Kollegin. Catherine AD spielt nicht nur das Keyboard, auch die akustische Gitarre – als die Show beginnt steht sie weit über der Bühne in einem Kegel aus Licht und schlägt die Saiten.

Bei „The American“, einem der frühesten Songs der Band, ist Jim Kerr von drei akustischen Gitarren umringt. Ganz zuletzt stehen beide Sängerinnen mit Jim Kerr und den Simple Minds auf der Bühne.

Das neue Album ist mit einer kleinen Auswahl an Songs vertreten, aber unter den 26 Stücken, welche die Simple Minds spielen, finden sich natürlich auch fast alle Hits aus der langen Geschichte der Band – bis auf „Belfast Child“ aus dem Jahr 1989, dem größten Erfolg der Band in den deutschen Hitparaden.

„Don’t you (forget about me)“, der Song aus „Breakfast Club“, dem Filmhit der 1980er Jahre, kommt noch vor der Pause – und dies mit viel Energie. All dem zum Trotz hat das Konzert seine Längen, ist vor allem laut abgemischt, Details der ruhigeren Stücke kommen kaum zur Geltung. Und die Musiker, die das große Kino umspielen, das Jim Kerr als traumtänzerischer Narziss der Lebensmitte gibt, verrichten ihre Arbeit manchmal allzu routiniert.

Gegen Ende nehmen die Simple Minds noch einmal kräftig Tempo auf – mit „Sanctify Yourself“, einem weiteren Hit aus den 1980er Jahren und mit dem treibenden Titelsong des neuen Albums.

Die Zugabe bringt eine echte Überraschung: Um aus Jim Morrisons sinistrer Ballade „Riders on the Storm“ einen elektrisierenden Disco-Song zu machen, braucht man Fantasie – und auch solche haben die Simple Minds noch immer. Mit „Live and Kicking“, einem Song, der auch schon 30 Jahre alt ist, verabschieden sie sich für diesen Abend von Stuttgart.