Mitglieder der Shen-Wei-Kompanie in Aktion Foto: Forum am Schlosspark

Die New Yorker Kompanie Shen Wei Dance Arts hat in Ludwigsburg das Publikum hypnotisiert.

Ludwigsburg - Tanz und Kunst sind für den chinesischen Choreografen, Tänzer, Maler und Designer Shen Wei untrennbar verbunden – schon der Name seiner im Jahr 2000 gegründeten New Yorker Kompanie Shen Wei Dance Arts offenbart das. Seine Vorstellungen muss man sich daher als eine Art Kunst-Live-Show vorstellen, bei der das Oeuvre d’art, das fernöstliche und westliche Kulturlinien zusammenführt, unmittelbar vor den Augen des Publikums entsteht. Dass er ein großer Inszenator ist, der mit der Wirkkraft des Visuellen auch ein Fernsehmilliardenpublikum in aller Welt verführen kann, hat er mit seiner Choreografie der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2008 in Peking bewiesen. Im Ludwigsburger Forum am Schlosspark präsentierte er am vergangenen Mittwoch zwei sehr unterschiedliche Arbeiten. Die jüngere, „Map“, 2005 entstanden, ist eine Art Raum- und Körpervermessung mit den Mitteln des Tanzes. Zu Beginn markieren fünf große Ballons, wie man sie zum Simulieren von Gebäudehöhen verwendet, das Bühnenterrain. Nachdem sie aufgestiegen sind, nehmen zwölf Tänzer das Gelände in Besitz. Sie tun das liegend, sitzend, stehend, laufend, im Ensemble, als Solitär, vor allem aber, indem sie auf mannigfaltige Art um die eigene Achse und im Raum rotieren, kreiseln, rollen.

Erst scheinen sie dabei mit gestreckten Gliedmaßen Präzisionsgeometrie zu betreiben, dann lassen sie die Bewegung wellenförmig durch sich hindurchfließen. Mit ihrem heiter-kreisenden Stieben zu Steve Reichs treibender „Desert Music“, das keinen Stillstand kennt, bespielen sie den Raum, kartieren ihn, verleiben sich ihn ein. Dabei setzt Shen Wei jedoch stark auf Wiederholung, und bald droht „Map“ ins Monotone abzudriften.

Die menschlichen Züge verschwinden

Regelrecht hypnotisch, weitaus bannender ist der ästhetische Sog des nachfolgenden Stücks „Folding“: berückendes Körper-Kunstwerk, surreale Skulptur, inspiriert vom Falten von Papier. In der im Jahr 2000 für die von Shen Wei mitbegründete Guangdong Modern Dance Company kreierten Choreografie verlieren die zwölf Tänzer ihr menschliches Antlitz: Um zum Kunstmaterial zu werden, verwandelt Shen Wei sie in geschlechtslose Wesen. Ihren Haarschopf lässt er in einem eiförmigen Kokon verschwinden; auf Hüfthöhe unterhalb geweißter Oberkörper legt er ihnen samtrote und schwarze Stoffschleppen um; die Brüste der Frauen sind durch Bänder abgebunden.

Diese Aliens huschen zunächst mit fliehenden Schritten über die Bühne, versinken in einem lichten Meer, welches das Bühnenbild des chinesischen Künstlers Ba Dan San Ren andeutet. Dann vollführen sie vorwiegend zu den sphärischen Klängen John Taveners, die zwischendurch vom akustischen Aufruhr buddhistischer Mönchsgesänge durchschnitten werden, bizarre, minimalistische Bewegungen in Zeitlupen-Tempo; kurzzeitig verfallen sie auch mal in Raserei. Jeweils zwei Schwarz-Röcke sind zu einem Zwitterwesen verwachsen, das sich biegt, krümmt, auseinanderklappt. Was für ein gespenstisches Duett! Am Schluss steigen die geheimnisvollen Meeresbewohner in ein schwarzes Nirwana empor. Mit Tanz hat das nicht mehr so viel zu tun, es ist pure Bildmagie, komponiert aus Körpern, Bewegung, Farbe, Licht, Raum.

Das fesselnde Kunstwerk, dem man ewig beim Entstehen zuschauen möchte, transzendiert konsequent die Bühnenkonvention. Nachdem der Vorhang sich zum Applaus wieder öffnet, behalten die Tänzer beim Verneigen ihren eigentümlichen meditativen Bewegungsgestus einfach bei: Kunst kennt keine Grenzen.