Foto: EPA

Fashion-Week in Israel: Tel Aviv macht einfach weiter, wie die Stadt das immer getan hat. Man kann das schlimm finden oder einfach nur menschlich.

Tel Aviv - Ich muss an meine Mitbewohnerinnen Keren denken und an ihr Gesicht, als ich ihr bei unserer ersten Begegnung vor etwa einer Woche erzählt habe, dass ich in meinem Blog gern über das Leben in Israel auch abseits des Konflikts schreiben will. „Aber alles hat hier mit dem Konflikt zu tun!“, hat Keren gesagt und mich ziemlich empört von oben bis unten gemustert. „That`s what life is all about.“ Wahrscheinlich bin ich seither in ihren Augen keine ernstzunehmende Journalistin.

Während ich also auf der Tel Aviv Fashion Week stehe und all die unheimlich schönen, unheimlich gutgelaunten Modemenschen um mich herum betrachte, muss ich an Keren denken. Und daran, dass Israel an diesem Tag auf den Golanhöhen Ziele in Syrien beschossen hat – als Reaktion auf eine Granate, die auf seinem Gebiet eingeschlagen war. Das erste Mal seit dem Yom Kippur-Krieg 1973, der jahrzehntelange Waffenstillstand ist damit zumindest temporär vorbei.

Aber Tel Aviv macht einfach weiter, wie die Stadt das immer getan hat in ihrer gut 100-jährigen Geschichte – sogar als während der Intifada die Bomben der Selbstmordattentäter in den Cafés und Bussen explodierten. So ähnlich stelle ich mir die Fin-de-siécle-Stimmung in Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts vor, ein bisschen hysterisch, ein bisschen dekadent, manisch-depressiv. Man kann das schlimm finden oder einfach nur menschlich.

Riesige Sonnenbrillen sind Pflicht, sehr hohe High Heels auch

Also Fashion Week. Vom 11. bis 13. November liegt ihr Laufsteg im alten Bahnhof von Jaffa, vor allem israelische Designer zeigen hier ihre Mode. Der Bahnhof, gebaut 1892, stammt aus der Zeit, in der der Zug das Kamel als Transportmittel ablöste. Er gehörte zur Strecke Jaffa-Jerusalem und war ein wichtiger Knotenpunkt für Israels Güterverkehr, später lag er lange Zeit verlassen und vergessen da, nur ein paar hundert Meter vom Meer entfernt. Vor ein paar Jahren wurde „HaTachana“ renoviert und restauriert, seither gibt es hier Läden mit Schmuck, Mode, Nippes und Kulturveranstaltungen. Ein Besuch lohnt sich vor allem wegen der 22 historischen Gebäude, mit teils schwäbischem Bezug: Zu sehen sind unter anderem die Fabrik und das Wohnhaus der Familie Hugo Wielands. Wieland war ein Templer aus der Nähe von Tübingen, der im 19. Jahrhunderts auswanderte und in Jaffa sehr erfolgreich Holz- und Zementwaren produzierte und handelte.

Zwischen den stillen Gleisen, alten Wagons und Hallen stehen an diesem Tag neben überwiegend israelischen Journalisten, Models, Designern, auch Zugereiste aus New York, London, Paris und Berlin, um Tel Avivs Modewoche zu verfolgen. Riesige Sonnenbrillen sind Pflicht, sehr hohe High Heels auch, alle Frauen tragen die Haare toupiert oder den Dutt oben auf dem Kopf. Grobe Wollstrümpfe stecken in feinen Ballerinas, Plastik-Leoparden-Pumps trägt man zu edlem Strick, Neon-Sneakers zur Fliege und Plateau-Schuhe zu übergroßen Pullis. Ein paar offensichtliche Möchtegernmodels staksen durch die Szenerie, alle gucken ständig auf ihr i-Phone, die Mode-Blogger fotografieren sich gegenseitig und ich kontrolliere unauffällig, ob das Etikett meiner Bluse heraushängt, die von einer großen, billigen Allerweltsmarke stammt. Ich finde, die Menschen hier sehen aus wie in den gentrifizierten Teilen von Berlin Neukölln oder New York Williamsburg – nur ein sehr großer Mann trägt einen langen Mantel und einen Hut ähnlich einem orthodoxen Juden. Allerdings ist sein Mantel orange. Wer politische Statements sucht, der findet sie an diesem Tag vielleicht bei dem Jung-Design-Trio „Muslin Brothers“ - mit N -, deren Models mit Mundschutz auf den Laufsteg treten.

Alles ist noch ein bisschen handgestrickt

Die Veranstaltung steckt mit gut 15 Schauen noch in den Kinderschuhen. Sie findet erst im zweiten Jahr statt – zu klein, zu unbedeutend sei Israels Modeindustrie zuvor gewesen, sagt hier jeder, den man fragt. Erst in den vergangenen Jahren hätten sich hier einige Designer etabliert. Und ein israelischer Journalist meint, dass seine Landsleute einfach zu wenig Wert auf Kleidung legen würden, das komme vielleicht noch aus der Kibbutz-Zeit, als jeder das trug, was der Kibbutz ihm zuteilte: zweckmäßige, konforme Kleidung. Dass die Veranstaltung (noch) nicht mit den Fashion Weeks in New York, London, Paris und Berlin vergleichbar ist, zeigt sich auch daran, dass Anna Wintour nicht da ist, und dass stattdessen die Berichterstatterin der Stuttgarter Nachrichten – ohne die Bedeutung unserer Zeitung als Modefachblatt schmälern zu wollen ! - bei einer Schau in der ersten Reihe sitzt. Außerdem gibt es noch kein richtig funktionierendes System für die Tickets, die Frauen von der Presseabteilung gehen vor jeder Schau durch die Menge und verteilen die Einlasskarten, und der Moderator der Veranstaltung für Nachwuchsdesigner vergisst vor lauter Begeisterung, das, was er sagt, für die Ausländer ins Englische zu übersetzen.

Aber genau darin liegt auch der Charme dieser Veranstaltung: Alles ist noch ein bisschen handgestrickt – und es ist kein Problem, einen israelischen Designer spontan zum Interview zu treffen. Ich spreche mit Philip Blau, der seit zehn Jahren mit seiner Partnerin Helena Blaunstein hinter dem Tel Aviver Label „Frau Blau“ steht. Mittlerweile verkaufen sie auch in den USA, Großbritannien und Deutschland. Soeben haben die beiden ihre neue Kollektion „Atomic Mermaid“ gezeigt. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Grafiken auf dehnbaren Stoff drucken können. Ihre Mode ist bunt und schrill, surrealistisch und psychedelisch, die Models tragen Frisuren wie die isländische Musikerin Björk, der das hier wahrscheinlich auch gefallen würde. Fischgräten und -schuppen, Quallen und Schlingpflanzen fließen über die Kleider, Leggins und T-Shirts in Blau, Türkis, Gelb und Pink. „Wir wollen Leute mit unseren Entwürfen zum Lachen bringen und ihnen sagen ,don’t worry, be happy`“, sagt Philip Blau, der mit 18 Jahren von Turkmenistan nach Israel kam. „Aber kann sich denn Mode in einem Land, in dem eigentlich alles politisch ist, leisten, unpolitisch zu sein“, frage ich ihn. „Ja“, sagt Philip Blau, „ich finde, sie sollte es sogar sein“. Man kann das so sehen – oder ganz anders.

3 Fragen an Philip Blau:

Warum heißt Ihr Label ,Frau Blau’?

Helena und ich lieben Deutschland und deutsches Design. Wir haben den Namen ganz bewusst auch als Provokation gewählt, denn vor zehn Jahren war deutsche Kultur hier in Israel noch immer verpönt. Viele Leute haben zu uns gesagt: ,Wie könnt ihr einen deutschen Namen wählen!?` Aber wir wollte da auch Bewusstsein schaffen.

Hat sich daran seither etwas geändert?

Auf jeden Fall. Und ich denke, wir haben vielleicht auch einen Teil dazu beigetragen.

Gibt es etwas in ihrer Mode, das für Tel Aviv steht?

Das ist eine schwierige Frage. Was ist schon typisch Tel Aviv? Wir kommen alle aus verschiedenen Kulturen und verschiedenen Geschichten. Das alles beeinflusst uns. Unsere Mode ist wie Fusion cuisine, die verschiedene Esstraditionen mixt. Sie ist bunt und scharf, wie unsere israelischen Salate.

StN-Redakteurin Lisa Welzhofer lebt und arbeitet zwei Monate lang in Tel Aviv und berichtet für unsere Zeitung von dort. Sie ist Stipendiatin des „Ernst-Cramer & Teddy Kollek-Fellowship“, das deutschen Journalisten einen Aufenthalt im Nahen Osten ermöglicht.