Mit offenem Visier ist der Unterschied zwischen Wald und Stadt auf dem Motorrad auch zu riechen. Motorradfahrer sind im Alltag vielen Gefahren ausgesetzt. Oft werden sie von anderen Verkehrsteilnehmern übersehen. Foto: Thomas Krämer

In der Serie „Unterwegs“ schildert unser Autor Thomas Krämer die Faszination und die Schattenseiten des Motorradfahrens aus persönlicher Sicht.

Filderstadt - „Motorradfahrer bei Unfall verletzt.“ Eine Überschrift, die man – so oder ähnlich – in der Sommerzeit immer wieder in der Zeitung liest. Klar, wieder einmal ein Raser. Kann sein, immerhin ist nicht angepasste Geschwindigkeit mit großem Abstand die Hauptunfallursache, wenn Motorradfahrer zu Schaden kommen. Laut ADAC-Statistik war aber im Jahr 2013 bei Unfällen mit Personenschaden in etwas mehr als der Hälfte der Fälle der Unfallverursacher der Un-fallgegner, der Biker also Opfer.

Übersehen an einer Kreuzung; beinahe kollidiert, als der Autofahrer an einer Einfahrt wendete, ohne auf den Verkehr zu achten. Sogar „Parallelverkehr“ im Kreisverkehr („da hatten doch wir beide genügend Platz“) galt einer älteren Dame als opportun: die Erfahrungen des bislang unfallfrei gebliebenen Autors sind mannigfaltig.

Das Image ist unter die Räder gekommen

Gerade Motorradfahrer müssen vorausschauend fahren und immer mit Fehlern der anderen Verkehrsteilnehmer rechnen. Kein Blechkäfig, kein ABS schützt sie, weshalb Biker bei Unfällen überdurchschnittlich oft ums Leben kommen.

Das Risiko ist also höher als das der Autofahrer, das Image der Motorradfahrer ohnehin unter die Räder gekommen. Zu laut, zu schnell und rücksichtslos seien sie unterwegs, so das landläufige Urteil. Und natürlich gibt es sie, die Biker, für die Geschwindigkeitsbeschränkungen eher eine Empfehlung sind. Solche, die den Radius in der Kurve nicht mit dem eigenen Tempo in Einklang bringen oder die, die aufgrund der Kraft ihrer Motoren und des im Vergleich dazu niedrigen Gewichts auch an unübersichtlichen Stellen überholen. Immerhin wiegt ein durchschnittliches Auto rund das Fünffache eines gewöhnlichen Straßenmotorrads – bei gleicher PS-Zahl. Zudem meint mancher, seine Mitmenschen nicht durch tollen Charakter oder hohe Intelligenz beeindrucken zu müssen, sondern durch jaulende Aggregate oder brachial blubbernde Motoren. Doch diese Zeitgenossen sind glücklicherweise in der Minderheit.

Der Durchschnittsbiker ist 50 Jahre alt

Schauen Sie mal auf das Gesicht hinter dem Visier oder warten sie, bis der Motorradfahrer den Helm abgenommen hat. Es könnte Ihr Nachbar sein, Ihr Heizungsinstallateur, Ihr Berater bei der Sparkasse oder vielleicht auch Ihr Zahnarzt. Denn der durchschnittliche Biker in Deutschland ist um die 50 Jahre alt und hat Geld. Schließlich kostet so eine Maschine kaum unter 8000 Euro.

Und wer zum Beispiel auf einer prestigeträchtigen bayerischen Marke unterwegs sein will, lässt schnell mal 15 000 Euro bei seinem Händler liegen. Beinahe jedes vierte verkaufte Motorrad hat das BMW-Emblem auf dem Tank, dahinter folgen mit rund elf Prozent Honda, Harley-Davidson und dann andere asiatische und europäische Marken.

Wenig Übung steigert das Unfallrisiko

Insgesamt fahren rund 4,15 Millionen Motorräder auf Deutschlands Straßen – mehr oder weniger oft. Denn nur wenige nutzen das Gefährt im Alltag, viele gehen ein paar Mal im Jahr damit auf Wochenendtour und sind deshalb nur wenig geübt im Umgang mit der Maschine: ein weiteres Unfallrisiko.

Teuer und gefährlich also. Aber trotzdem: Motorrad fahren macht Spaß! Wenn man das Helmvisier öffnet, frische und weder pollengefilterte noch klimaanlagengekühlte Luft in die Nase pustet. Man den Wechsel zwischen Wald und Stadt, Berg und Tal riecht und spürt. Man sich elegant in einer Kurve legt und sicher auf wenigen Quadratzentimetern Gummi auf dem Asphalt haftet, um aus der Schräglage heraus zu beschleunigen und dabei Schwerkraft und Zentrifugalkraft zu spüren.

Es gibt noch ein Miteinander

Und dann ist da noch etwas, was es im normalen Straßenverkehr kaum noch gibt: das Miteinander der Motorradfahrer, der Gruß beim Fahren, der Plausch an der Tankstelle oder auf der Terrasse des Cafés bei der Sonntagsausfahrt. Die Hilfe bei einer Panne oder wenn man den Weg nicht weiß. Ein wenig mehr dieses Miteinanders würde auch im normalen Straßenverkehr nicht schaden – egal ob man auf vier, zwei oder gar ohne Räder unterwegs ist.