Der erste afroamerikanische Oscar-Preisträger Sidney Poitier Foto: United Artists

Der Wandel der afroamerikanischen Identität spiegelt sich in gesellschaftspolitischen Debatten und Kunstformen wie Literatur, Kino oder Popmusik wider. Heute: Schwarze prägen den US-Film vor der Kamera, aber selten dahinter.

Hollywood - Eine lange Reise bis zu diesem Moment“ sei es gewesen, sagte Sidney Poitier, als er 1964 als erster Afroamerikaner den Hautrollen-Oscar bekam. „Lilien auf dem Felde“ hieß die Komödie von Ralph Nelson, in der Poitier als schwarzer Gelegenheitsarbeiter an fünf hilfsbedürftige Nonnen gerät, die aus der DDR nach Arizona geflohen sind. Danach vergingen fast 40 Jahre, ehe wieder schwarze Hauptdarsteller ausgezeichnet wurden: Halle Berry als Wittwe eines Hingerichteten, die sich in „Monster’s Ball“ (2001) ohne es zu ahnen von dessen Todeszellen-Wächter trösten lässt, Denzel Washington für seinen fulminanten Auftritt als korrupter Polizist in „Training Day“ (2001).

Washington reckte dem anwesenden Poitier, reckte ihm seinen Oscar entgegen – dieser antwortete mit dem Ehren-Oscar, den er kurz zuvor bekommen hatte. Berry verlor auf der Bühne die Fassung, rang nach Luft und Worten: „Dieser Augenblick“, stammelte sie schluchzend, „ist so viel größer als ich. Jede namenlose, gesichtslose farbige Frau hat jetzt ihre Chance, weil heute Nacht eine Tür aufgestoßen worden ist.“

Hollywood habe sich nicht geändert, glaubte dagegen Harry Belafonte, damals 75: „Es ist so rassistisch wie immer, heute nur nicht mehr so offen.“ Zwar bekamen noch Jamie Foxx als Ray Charles in „Ray“ (2004) und Forest Whitaker als Idi Amin in „The Last King of Scotland“ (2006) Oscars, doch vor den Academy Awards 2016 kam es zum Eklat: Zum zweiten Mal in Folge waren keine Afroamerikaner nominiert, Will Smith, George Clooney, Michael Moore, Spike Lee und viele andere protestierten.

Die Academy-Präsidentin zititert Martin Luther King

Der schwarze Comedian Chris Rock moderierte die Verleihung und wurde sarkastisch: „Wieso in den 1960er Jahren niemand protestiert hat, wenn es bei den Oscars keine schwarzen Nominierten gab?“, fragte er vor einem globalen Milliardenpublikum. „Weil wir damals reale Themen hatten: Wir waren zu sehr damit beschäftigt, vergewaltigt und gelyncht zu werden, um uns für die beste Kameraarbeit zu interessieren.“ Er witzelte über Kategorien nur für Schwarze und rief in den Saal: „Wir wollen Angebote!“ Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs, ebenfalls Afroamerikanerin, zitierte Martin Luther King: „Das Maß für einen Menschen ist, wo er bei Herausforderungen und Kontroversen steht.“

Die Mitglieder der Oscar-Academy, die die Nominierten auswählt, waren laut Angaben der „Los Angeles Times“ 2012 zu 94 Prozent weiß und zu 77 Prozent männlich bei einem Durchschnittsalter von 62 Jahren. Inzwischen wurden 683 neue Mitglieder eingeladen, überwiegend Frauen und Angehörige von Minderheiten, darunter die schwedische Oscar-Preisträgerin Alicia Vikander („The Danish Girl“), die schwarzen Darsteller John Boyega („Star Wars“) und Idris Elba („Beast of No Nation“), die deutschen Regisseurinnen Margarethe von Trotta (74, „Rosenstraße“) und Maren Ade (39, „Toni Erdmann“). Nun, so heißt es, seien 11 statt 8 Prozent aller Mitglieder Afroamerikaner, Asiaten oder Latinos und 27 statt 24 Prozent Frauen.

Nicht mehr als eine Geste ist das. Hollywood war von Beginn an weiß, Schwarze kamen vor allem in einigen wenigen „black cast films“ zum Einsatz. Die Bibelverfilmung „Green Pastures“ (1936) wurde später ebenso als stereotyp und rassistisch kritisiert wie Disneys erster Realfilm „Song of the South“ (1946). Die erste Hauptrolle in einem großen Film bekam eine Afroamerikanerin in Frankreich: Josephine Baker, als Tänzerin und Sängerin in Paris längst ein Star, spielte in „Zouzou“ (1934) an der Seite von Jean Gabin ein Zirkuskind.

Schwarze Filmemacher gelten als Begründer des US-Independent-Kinos.

Schwarze Filmemacher in den USA mussten unabhängig arbeiten und entwickelten früh eine eigene Bildsprache und eigene Erzählformen. Häufig erzählten sie von Diskriminierungserfahrungen und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Heute gelten die frühen afroamerikanischen Filmemacher als Begründer des US-Independent-Kinos. Ein einflussreicher Pionier war Oscar Micheaux. Ungeschönt zeigte er in „Within our Gates“ (1920) die „Great Migration“ von Millionen Afroamerikanern aus dem Süden in die Städte des Nordens und den Wiederaufstieg des Ku Klux Klan, einen Lynchmord an einem Schwarzen inklusive. Der Film gilt als Antwort auf W. D. Griffiths offen rassistischen Film „Birth of a Nation“ (1915), der Afroamerikaner als triebgesteuerte Idioten darstellte und den Ku Klux Klan verherrlichte.

Das Melodram „The Scar of Shame“ (1927) handelte von der „Harlem Renaissance“, einem neuen afroamerikanischen Selbstbewusstsein, „The Blood of Jesus“ (1941) war eine surreale religiöse Parabel, ein Zeugnis spezifisch afroamerikanischer Religiosität. Das Mainstream-Publikum nahm diese Filme kaum wahr, auch die Wissenschaft übersah sie lange. Der Filmhistoriker John Kisch prägte in den 1970ern den Begriff „separate cinema“ – faktisch herrschte auch im Kino Rassentrennung.

Nach dem Krieg profilierten sich Schwarze als Charakterdarsteller. Dorothy Dandridge sorgte 1953 neben Harry Belafonte im Schuldrama „Bright Road“ für Aufsehen, Sidney Poitier machte mit der Broadway-Verfilmung „Raisin in the Sun“ (1959) auf sich aufmerksam und brillierte in „In der Hitze der Nacht“ (1967) als afroamerikanischer Polizist aus dem Norden, der in einem rassistischen Südstaaten-Kaff einen Mord aufklären soll.

Ohne Eddie Murpohy kein Happy End

Ein neues Selbstbewusstsein manifestierte sich in der „Blaxploitation“-Bewegung Ende der 1960er. Die Zeit überdauert haben der Krimi „Shaft“ (1971) und das Drogendealer-Drama „Superfly“ (1972) – wegen der legendären Soundtracks von Isaac Hayes und Curtis Mayfield. Unter schillernder Oberfläche mit Afros, extravaganten Schlaghosen und farbenfrpohen Oberteilen boten die Filme meist wenig Handlung und Charakterentwicklung, Bürgerrechtler und Feministinnen kritisierten sie als stereotyp und sexistisch. Ein Symbol dafür: Die langbeinige Pam Grier, die in „Foxy Jones“ (1974) in sexy Outfits Schurken vermöbelte.

Derweil gelang es schwarzen Schauspielern, sich in Mainstream-Filmen zu etablieren. Ohne Richard Pryor als sympathischen Kleingauner hätte es in „Trans America Express“ (1976) für Gene Wilder kein Happy Ende gegeben, ohne Eddie Murphy im harten Thriller „Nur 48 Stunden“ (1982) keines für Nick Nolte. Murphys Lohn: die alleinige Hauptrolle in „Beverly Hills Cop“ (1984). Im Action-Krimi „Lethal Weapon“ (1987) brach Danny Glover alte Stereotypen: Während der weiße Mel Gibson den Chaoten spielte, gab der schwarze Glover den rechtschaffenen Polizisten und treusorgenden Familienvater.

Ende der 1980er riefen Regisseure wie Spike Lee und John Singleton eine „New Black Wave“ aus. Lee erzählte in „Do the right Thing“ (1989) von ethnischen Spannungen in Brooklyn, die in eine Tragödie münden, Singleton in „Boyz n the Hood“ (1991) von der harten Realität in den Ghettos von South Central Los Angeles.

Jamie Foxx durfte Rache üben für die Sklaverei

Schützenhilfe kam von weißen Filmemachern. Steven Spielberg verfilmte 1985 das historische Frauendrama „Die Farbe lila“ der afroamerikanischen Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker und machte Whoopi Goldberg zum Star. Edward Zwick holte Denzel Washington und Morgan Freeman für „Glory“ vor die Kamera, einen Film über eine rein afroamerikanische Militäreinheit im Bürgerkrieg. Washington bekam den Oscar als bester Nebendarsteller und war dann für Spike Lees „Malcolm X“ (1992) nominiert , Freeman trat in Spielbergs Sklavendrama „Amistad“ (1997) auf, ehe er für seine Rolle als Boxtrainer in „Million Dollar Baby“ (2004) den Nebendarsteller-Oscar bekam.

Quentin Tarantino gab Samuel L. Jackson in „Pulp Fiction“ (1994) eine Plattform, er holte Pam Grier für einen späten Auftritt in „Jacky Brown“ (1998) zurück, und er ließ Jamie Foxx in „Django Unchained“ (2012) stellvertretend für alle Afroamerikaner Rache üben für die Sklaverei – mit einem gigantischen Blutbad in einer Südstaaten-Villa. Roland Emmerich machte den jungen Will Smith in „Independence Day“ (1996) zum Star, der Filmkünstler Jim Jarmusch Forest Whitaker in „Ghost Dog“ (1999). Und die Wachowski-Geschwister besetzten die Rolle eine weisen Revolutionsführers im Zukunfts-Thriller „Matrix“ (1999) mit Laurence Fishburne.

Afroamerikanische Charaktere sind aus dem US-Kino nicht mehr wegzudenken – Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute dagegen sind rar. Gibt es keinen neuen Micheaux? Oder ist er nur nicht sichtbar? Eine anständige Schauspieler-Satire hat 2014 unter dem Titel „Top Five“ Chris Rock abgeliefert – allein auf weiter Flur.

Auch heute noch sitzen oft Weiße an Schlüsselpositionen

Die Streaming-Plattform Netflix zeigt aktuell in der Drama-Serie „The Get Down“ junge, überwiegend schwarze Protagonisten in der South Bronx des Jahres 1977, die gegen Eltern rebellieren, unter Gang-Gewalt leiden und zu Disco-Beats tanzen. Der Showrunner ist nicht etwa ein Schwarzer, sondern der weiße Australier Baz Luhrman („Romeo und Julia“), auch alle anderen Schlüsselpositionen – Regie, Autoren – sind mit Weißen besetzt. Wieso die Afroamerikaner 2016 nicht in der Lage sind, solche ureigenen Geschichten selbst zu erzählen, diese Frage wäre eine Studie wert.