Die Reste des ausgebrannten Peugeot Florian H.s auf dem Cannstatter Wasen. Der Tod des Rechtsextremisten beschäftigt in den kommenden Wochen die Landtagsabgeordneten Foto: 7aktuell.de/Eyb

Der Rechtsextremist berichtete der Polizei,eine radikale Gruppe habe sich mit dem NSU getroffen. Er könnte die Ermittler auf die Spur der Neonazis von der „Standarte Württemberg“ führen.

Stuttgart - Aus dem Kleinwagen stieg noch Rauch auf. Der Handgriff der Fahrertür des dunklen Peugeot war geschmolzen und verformt. Feuerwehrmänner hatten sie mit einem Spezialwerkzeug aufgehebelt, um in den Innenraum des Autos zu gelangen. Dort saß eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche. Den Kopf in den Nacken gepresst. Die Zunge zwischen den Zähnen eingeklemmt.

In der Jeans des Toten fanden die Polizisten einen Personalausweis – ausgestellt auf Florian H. Der damals 21-Jährige aus Eppingen im Landkreis Heilbronn wird in den kommenden Wochen die Landtagsabgeordneten des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses beschäftigen. Bis heute ist ungeklärt, warum Florian H. am Morgen jenes 16. September 2013 auf dem Cannstatter Wasen verbrannte.

Sicher ist: H. war ein Zeuge bei den Ermittlungen zum Heilbronner Polizistenmord. Im April 2007 wurde die Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter auf der Theresienwiese erschossen. Von den mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sind die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft überzeugt.

Deren Mörder kenne Florian H., berichtete eine Zeugin Heilbronner Kriminalpolizisten im Januar 2012. Das habe er zwei Mitauszubildenden erzählt, die es wiederum ihrer Ausbildungsleiterin berichten. H., der sich in der rechtsextremen Szene bewegte, bestritt dies, als Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) ihn dazu befragten.

Im Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten untergekommen

Stattdessen erzählte er von einer „radikalen“ Organisation Neoschutzstaffel (NSS) und von einem Treffen dieser Gruppe mit dem NSU in Öhringen. Das lasse sich nicht belegen, und weitere Ermittlungsansätze gebe es nicht, notierten die Befrager. Mehr als eineinhalb Jahre später interessierten sie sich wieder für die Aussage Florian H.s. Der war mittlerweile in einem Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten untergekommen. „Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus“ (Big Rex) nennt sich die beim LKA angesiedelte Initiative. Von ihren dortigen Kollegen besorgten sich die NSU-Ermittler H.s Telefonnummer und vereinbarten ein Treffen für den 16. September 2013 – den Tag, an dem H. starb.

Acht Stunden vor der geplanten Vernehmung ging bei der Polizei die Meldung über den in Flammen stehenden Wagen in Bad Cannstatt ein, der zur Todesfalle für den Eppinger wurde. H. habe sich mit Kraftstoff übergossen und selbst angezündet, heißt es in einem Polizeivermerk. Tatsächlich geht aus Ermittlungsakten nur hervor, dass H. am Abend vor seinem Tod an einer Tankstelle Benzin in einen Kanister abfüllte. Das sagte ein Ausbildungskollege aus, der mit ihm im Auto unterwegs war.

Genau 7,9 Liter habe H. in das gelbe Plastikbehältnis gefüllt, sagte der Maurerlehrling der Polizei. Gemeinsam mit zwei weiteren Bekannten seien sie nach Geradstetten gefahren. Dort wohnten und lernten die jungen Leute in einer Fortbildungsstätte. Während sich die Kollegen H.s an der Pforte meldeten und ihre Zimmer bezogen, verliert sich die Spur Florian H.s.

Kurznachricht mit dem Wort „Hey“ an einen Freund

Mitten in der Nacht – um 0.52 Uhr – schickte er mit seinem Handy eine Kurznachricht mit dem Wort „Hey“ an einen Freund. Stimmen die Aussagen eines Zeugen, stand H.s Peugeot da schon am Cannstatter Campingplatz. Zweieinhalb Stunden später, um 3.30 Uhr, fiel einem weiteren Zeugen das Auto mit dem Heilbronner Kennzeichen dort auf: Die Scheiben seien von innen beschlagen gewesen, berichtete der Mann.

Möglicherweise war Florian H. zu diesem Zeitpunkt benebelt: Tübinger Rechtsmediziner wiesen im Körper H.s einen ganzen Medikamentencocktail nach. Darunter Beruhigungsmittel und eine ungewöhnlich hohe Konzentration eines Herz-Kreislauf-Medikaments. Tödlich waren diese Substanzen allerdings nicht: Bei der Obduktion des Leichnams fanden die Ärzte in den Atemwegen H.s Ruß. Ein Nachweis dafür, dass er zu Beginn des Brandes noch lebte und deshalb Rauch einatmete.

Die Parlamentarier werden sich sicher auch die Frage stellen, welche Rolle Florian H. in der rechtsextremen Szene spielte. Der hatte sich Freunden und Kollegen anvertraut: Er sei „früher bei den Nazis“ gewesen, „nach rechts abgerutscht“. Diese Vergangenheit habe ihn aber immer wieder eingeholt: Frühere Kameraden hätten ihn bedroht, fanden Polizeibeamte heraus, als sie in H.s Umfeld recherchierten. Bekannte berichteten von einem „Mann mit Glatze und Springerstiefeln“, der bis ins Haus der Eltern in Eppingen gekommen sei.

Polizei habe dem Verstorbenen „Druck gemacht“

Gleichzeitig habe die Polizei dem Verstorbenen „Druck gemacht“ und immer wieder etwas von ihm wissen wollen, behauptet ein Freund H.s. Doch welche brisanten Informationen hätte Florian H. tatsächlich den Ermittlern geben können? Fotos, die unserer Zeitung vorliegen, zeigen ihn Arm in Arm mit Gesinnungsgenossen in Heilbronn. Die Selbstbezeichnung „NAZIonalist“ prangt auf H.s T-Shirt, auf einem anderen Bild posieren die Neonazis mit ausgestrecktem rechtem Arm und Hakenkreuzfahne.

Einige der Fotografierten reagierten im Internet mit martialischen Parolen auf H.s Tod: „Blutrache“, forderte einer. Ruhe in Frieden, Rest in Peace, „RIP Flo, das bleibt nicht ungesühnt . . .“, kommentierte ein anderer.

H. sei nur ein „Mitläufer“ gewesen, sagt die Heilbronner Polizei. Für einen seiner kahl geschorenen Freunde auf den Fotos trifft dies sicher nicht zu: Christian S. fällt seit Jahren als rechter Gewalttäter auf: Volksverhetzung, Raub und Körperverletzung. Besonders pikant: Im Ermittlungsverfahren zum Mord an der Polizistin Kiesewetter gab es schon früh einen Hinweis auf S. und seinen älteren Bruder.

Wie sah der Hinweis aus? Ein Satz! Da beide aber zum Tatzeitpunkt 2007 im Gefängnis saßen, wurde die „Spur 224“ aber nicht weiter verfolgt. Für die Kriminalpolizei war Christian S. zudem Mitglied der „Aktionsgruppe Heilbronn“, ein Neonazi-Trupp, der sich Anfang 2011 gründete und bald wieder von der Bildfläche verschwand.

Migranten „mit allen Mitteln“ aus Deutschland vertreiben

Der Hinweis Florian H.s auf eine konspirative radikale Struktur im Raum Heilbronn erscheint mit Blick auf seine Kontakte in diese Szene in neuem Licht: Denn tatsächlich gab es in der Region eine solche Gruppierung. Im Juli 2011 durchsuchten die Kriminalen des LKA 21 Wohnungen von Rechtsextremisten im Südwesten.Vorgeworfen wurde ihnen die Gründung einer Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Migranten „mit allen Mitteln“ aus Deutschland zu vertreiben. Beschlagnahmt wurden damals unter anderem eine Pistole und 100 Schuss Munition.

Die Gruppe hieß allerdings nicht Neoschutzstaffel, sondern Standarte Württemberg. Zu der gehörten auch drei Männer aus dem Landkreis Heilbronn. Darunter ein Skinhead, den die Polizei als „Waffennarr“ bezeichnet und gegen den sie wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelte.

Fotos zeigen den 26-Jährigen mit einem T-Shirt der rechtsextremen Terror-Organisation Combat 18 – auch er Mitglied der „Aktionsgruppe Heilbronn“. Ob Florian H. sich dort organisierte, ist fraglich. Aber auch der geriet im Sommer 2011 ins Visier der Ermittler: Sie durchsuchten sein Zimmer in einem Wohnheim – nach Waffen.