Die Scientology-Präsenz in Kirchheim ist nicht mehr zu übersehen Foto: Horst Rudel

Bis vor wenigen Wochen hat sich in der Hauptstraße des Kirchheimer Teilorts Jesingen eine Krankengymnastik-Praxis allerlei körperlicher Malaisen angenommen. Jetzt gehen von der Adresse ganz andere Heilversprechungen aus. Die Räume sind von der umstrittenen Scientology-Organisation angemietet worden.

Kirchheim - Bis vor kurzem hat sich in der Hauptstraße des Kirchheimer Teilorts Jesingen eine Krankengymnastik-Praxis allerlei körperlicher Malaisen angenommen. Jetzt gehen von dort ganz andere Heilversprechungen aus. Die Räume sind von der umstrittenen Scientology-Organisation angemietet worden. Ein Schild mit Schriftzug und Logo weist auf den neuen Mieter hin. Im Schaufenster stehen ausschließlich Werke des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard.

Im Kirchheimer Ableger der weltweit operierenden, vom Verfassungsschutz als Sekte eingestuften Organisation, werden auch Seminare auf der Grundlage der Scientology-Philosophie angeboten. „Lebensverbesserungskurse“, sagt die Dame am Tresen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Sozialdarwinismus und Gehirnwäsche“, sagen die zahlreichen Kritiker.

Zuvor hatte der Kirchheimer Scientology-Ableger ein eher verborgenes Dasein in einem Kirchheimer Industriegebiet geführt. Die Scientologen machen keinen Hehl daraus, dass der Umzug an die viel befahrene Hauptstraße für sie einen entscheidenden Vorteil hat. „In der Brunnenstraße wollte der Vermieter nicht, dass wir sichtbare Werbung anbringen. Jetzt kann man uns schon von weitem sehen“, sagt die Dame.

„Wir wissen um das Problem, aber rein rechtlich sind uns die Hände gebunden“, sagt der Kirchheimer Bürgermeister Günter Riemer. Nicht nur er, sondern auch die SPD-Fraktion im Gemeinderat sieht eine solche Einrichtung den Worten der Fraktionssprecherin Marianne Gmelin zufolge als „sehr bedenklich“ an. Umso mehr, als dass der Umzug offensichtlich auch von einer intensiven Werbekampagne in der Stadt begleitet werden soll.

„Wir haben fünf Informationsstände der von den Scientologen betriebenen Teck-Mission in der Fußgängerzone genehmigen müssen“, sagt Riemer. Von Oktober bis Dezember wird die Organisation demnach an fünf Samstagen Werbung in eigener Sache machen - unter dem Deckmantel einer Jugendschutz- und Antidrogenkampagne, wie Riemer aus leidvoller Erfahrung vermutet,

Zuletzt hatte die Sekte in Stuttgart für Schlagzeilen gesorgt. Dem jüngsten Jahresbericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes zufolge soll Scientology über eine in Israel gemeldete Firma ein Anwesen in der Heilbronner Straße gekauft haben. In dem Haus, das für acht Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, soll laut Verfassungsschutzbericht das größte Scientology-Zentrum in Deutschland Platz finden. Eine Einschätzung, der vonseiten der Sekte widersprochen wird. „Diese Firma ist uns nicht bekannt“, hatte Scientology-Sprecher Hubert Kech auf Nachfrage beteuert.

„Scientology will die angestrebte totalitäre Ordnung durch eine umfassende Verbreitung ihres Programms in der Gesellschaft und durch die Gewinnung von Entscheidungsträgern und Meinungsführern verwirklichen und langfristig Politik, Wirtschaft und Medien kontrollieren. Deutschland kommt aus scientologischer Sicht eine Schlüsselrolle in Europa zu“, so steht es im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Dabei gelte Baden-Württemberg seiner wirtschaftlichen Stärke wegen als ein wichtiger Standort für die Organisation, „die ihre verfassungsfeindlichen Ziele zur Gesellschaftsveränderung hartnäckig weiterverfolgt“.

Im Land hat Scientology rund 900 Mitglieder. Neben der Zentrale in Stuttgart verfolgt die Sekte ihre Ziele über vier „Missionen“ in Ulm, Karlsruhe Göppingen und Kirchheim. Die Niederlassung in Göppingen hat Ende 2013 neue Räume bezogen und auch in Ulm ist den Erkenntnissen der Verfassungsschützern zufolge ein Umzug geplant.