Die Seilbahn, die für die Internationale Gartenbauausstellung in Berlin entstanden ist, bei einem Probebetrieb im September. Nicht überall rechnen sich Seilbahn-Projekte. Foto: dpa

Die Seilbahn-Idee sei reizvoll, müsse aber nüchtern geprüft werden, meint unser Redakteur Josef Schunder im Kommentar.

Stuttgart - Ist es der Reiz des Besonderen? Oder die Versuchung, sich mit vermeintlich visionären Gedanken zu schmücken? Tatsache ist, dass Stuttgart ein bisschen von der Idee der Seilbahn infiziert ist. Nicht ganz Stuttgart, aber so mancher Bürger und so mancher Kommunalpolitiker.

Die Seilbahn-Idee könnte vielleicht wirklich die eine oder andere Lücke im Verkehrsnetz sinnvoll schließen. Sei es zwischen Pragsattel und Burgholzhof, oder zwischen Pragsattel und Ostendplatz. Auch die Überlegung, zwischen der Autobahn 8 und dem Vaihinger Bahnhof auf höherer Ebene mehr Beförderungskapazität zu schaffen, verdient eine genauere Prüfung. Insofern ist den Stadträten aus heutiger Sicht zu raten, Geld in die Hand zu nehmen und den Realitätsgehalt der Idee nüchtern von Experten auf die Machbarkeit prüfen zu lassen.

Die Strecke zum alten IBM-Campus ist schwierig

Grund genug gibt es dafür. Die Verkehrsverhältnisse im Gewerbegebiet Möhringen/Vaihingen sind schon heute nicht einfach, obwohl gerade eine Stadtbahnlinie dorthin verlängert worden ist. Die Staus auf der Nord-Süd-Straße, die als Verkehrserschließung dient, sprechen für sich. Und in den nächsten Jahren sollen zu den heute rund 20 000 Beschäftigten noch 10 000 dazukommen – oder noch mehr. Dafür werden die Verkehrsplaner viele Hebel bedienen müssen. Die Seilbahn in dem Bereich könnte eine der vielen Lösungen sein, die man braucht.

Aber man mache sich nichts vor: So eine Seilbahn auch noch bis zum ehenmaligen IBM-Campus zu verlängern, nicht nur über Gewerbestandorte hinweg, sondern auch über viele private Wohngrundstücke oder an ihnen vorbei, ist noch einmal eine größere Herausforderung. Und eine Chance beispielsweise für die Ideengeber in der Grünen-Fraktion, ihre Standfestigkeit im Angesicht von zornigen Bürgern zu beweisen. Es könnte sein, dass sie dann ihre Idee noch bereuen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Deshalb also: Bitte genau prüfen. Stadtverwaltung und Gemeinderat sollten dabei Standorte für kleinere Seil- oder Gondelbahnen gleich mituntersuchen lassen. Denn es gibt durchaus Gegenden, wo weniger Betroffenheit geweckt würde, weil nur wenige Straßen oder Rebflächen und kaum Wohngebiete überquert würden. Doch Busverkehr wird auch künftig flexibler dem Bedarf anzupassen und damit oft wirtschaftlicher sein. Vielleicht wird man sich in Vaihingen am Ende statt einer Seilbahn auch eher eine Straßenbahn wünschen, die zwischen Bahnhof und ehemaligem IBM-Campus im Verkehr mitschwimmt. Teilweise dort, wo man vor vielen Jahren die Gleise der alten Straßenbahn entfernte.

Die Seilbahn wird sich jedenfalls noch sehr konkret mit anderen Verkehrsmitteln messen lassen müssen. Vorteile dürfte sie eher auf kürzeren Strecken haben. Mit ihr den ganzen Talauslauf in Stuttgart zu queren wie zwischen Pragsattel und Waldebene Ost, was manchem vorschwebt, würde auch lange Fahrzeiten bedeuten und die Stadtlandschaft unangemessen mit Masten und Gondeln verunzieren. Ganz zu schweigen davon, ob die Menschen sich in Gondeln mit manchen Mitfahrern spät am Abend sicher fühlen.

Das letzte Wort über die Vision von der Seilbahn in Stuttgart ist noch lang nicht gesprochen. Zumindest, wenn man es nüchtern betrachtet.

josef.schunder@stzn.de